Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Ersatzväterlichen Rat holte sich Schwab in Stuttgart vom Schauspieler Erich Ponto, den er zutiefst verehrte. Unangemeldet sprach er bei Ponto vor. Der riet ihm zu, aber auch dazu, sich Zeit zu lassen: „Ich war schließlich auch zuerst Apotheker.“ Neben dem Glauben, dass es einen Gott gebe, den er sich bis heute bewahrt hat, lernte Schwab von Ponto, wie er sagt, „was es heißt, ein Mensch zu sein“ – und nicht nur auf der Bühne. Ponto war der Nathan seiner Zeit. Schwab muss heute noch oft an ihn denken, wenn er selber in Lessings Stück die Hauptrolle spielt, wie alle paar Woche am Berliner Ensemble von Claus Peymann. Schwab ist kein Nathan, der die Weisheit gepachtet hat, sondern einer, der das Nach- und Querdenken übt, und alles in allem ist er das Gegenteil von aufgesetzt. Schwabs Charaktere auf dem Theater mussten und müssen sich nie beweisen. Sein Pastor Manders in David Böschs Ibsen-Inszenierung ist ein gutes Beispiel. Bösch ist ein Mittdreißiger mit ganz erheblichen, manchmal schon altmeisterlichen Fähigkeiten, aber mitunter lebt er auch ordentlich seine Spätpubertät aus. Seine „Gespenster“ wirken ein bisschen überdreht: wie überfüllt, sehr laut und ungeheuer fahrig. Schwab hat sich bei den Proben gedacht, was er sich immer denkt, nämlich dass „die Jungen schon die Löwen richtig reinlassen müssen“. Löwen kann man, wenn nicht dressieren, so doch disziplinieren – und so rettet sich Schwab in der Inszenierung an der Seite von Kirsten Dene gewissermaßen auf eine Insel. Wo der Pastor und Frau Alving im Stück nun mal kein Paar werden konnten, werden sie hier – als Desillusionierte – wenigstens eins auf der einsamen Höhe der Sprachbeherrschung.

 

Dene und Schwab sind das jung gebliebene Veteranenpaar des deutschen Theaters. Es gab sie schon gemeinsam auf der Bühne im Stuttgart der siebziger Jahre und dann wieder im Wien der achtziger Jahre, beide Male unter Claus Peymann, dessen affektiert-gehemmt norddeutsches Gekrähe Schwab derart hinreißend nachmachen kann, dass einerseits das Publikum immer noch fast lustvoll aufstöhnt, andererseits eigentlich überhaupt kein anderer Schauspieler in der Rolle des Theaterdirektors möglich ist, wenn es mit Thomas Bernhard im Dramolett heißt: „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen.“ Vor der Uraufführung, sagt Schwab, habe Peymann ihn nach dem obligatorischen „Toi, toi, toi“ noch gewarnt: „Spiel mich gut!“, was natürlich ganz überflüssig war.

Vielleicht ist das überhaupt die hervorragende Eigenschaft von Martin Schwab, den Theaterspielen immer noch glücklich macht, dass er seine Rollen („ich bin noch nie aus einer Produktion ausgestiegen . . .“) vorurteilsfrei annimmt, und sich selbst so lange zurückstellt, bis ein anderer in ihm Gestalt annimmt. Wie die Leute ihren Schwab nach drei Jahrzehnten Wien freilich trotzdem immer erkennen, merkt man daran, dass es öfter heißt, „wenn der Schwab mitspielt“, könne man sich die neue Jelinek oder den neuen Turrini „vielleicht trotzdem ansehen“. Und wenn es ernsthaft etwas auszusetzen gibt, erfährt es Schwab nicht erst aus zweiter Hand. Seine Frau ist selber Schauspielerin, aber, sagt Schwab, „sie kritisiert stets mit Liebe“.