Kampfschwimmer durchlaufen eines der härtesten militärischen Ausleseverfahren. Ihr Leitsatz: Lerne leiden, ohne zu klagen. Ein Elitesoldat aus Stuttgart berichtet.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Stuttgart/Eckernförde - Manchmal ist es am sichersten, die Männer zunächst mit dem U-Boot in die Nähe des Operationsziels zu bringen und sie dann über das Torpedorohr rauszuschleusen. Der Erste wird dabei mit den Füßen voran in die Röhre geschoben. Selbst mit angelegten Armen passt er kaum besser ins Rohr als ein Korken in die Weinflasche. Der nächste folgt mit dem Kopf voran. Vier Mann verträgt die Röhre. Dann heißt es warten, bis der Druckausgleich beendet ist. Das kann gut eine halbe Stunde dauern. Eine halbe Stunde absolute Dunkelheit und absolute Enge. Wer da keine Klaustrophobie-Attacke bekommt, bekommt sie nie mehr. Schließlich wird die Torpedoröhre geflutet und der Elitetrupp ins Meer entlassen.

 

Auch beliebt: voll verschnürt in ein Wasserbecken oder gleich in die Ostsee geworfen zu werden. Ein gutes Training, um sich im Notfall aus einem Kokon verhedderter Fallschirmseile befreien zu können. So wird man zum Houdini der Bundeswehr.

Kampfschwimmer durchlaufen eines der härtesten militärischen Ausleseverfahren überhaupt. Von 200 Bewerbern jährlich schaffen es vielleicht 60, die Ausbildung zu beginnen. Die drei Jahre durchzustehen ist noch schwieriger. Mehr als acht sind am Ende noch nie übrig geblieben. Es gab auch schon Jahrgänge, da schaffte es kein einziger. Was macht einen Kampfschwimmer aus? „Manche plappern viel, doch die meisten sind eher schweigsam. Es gibt ein paar Türstehertypen, doch die meisten sind körperlich eher unscheinbar.“ Was alle verbindet: „Sie können sich quälen und gehen nicht immer den bequemen Weg“, sagt Konrad W. Er gehört dazu.

Speedboote und E-Scooter

An diesem Wochenende ist der 34-Jährige auf Heimaturlaub. Zweimal im Jahr besucht er seine Eltern in Stuttgart-Feuerbach. Oder sie kommen zu ihm. An die Küste mit ihren weißen Stränden, den flüsternden Dünen, den Dreizackspuren der Möwenfüßchen im Sand. An die Ostsee, in die ihr Sohn dauernd abtaucht. Das leichte Schwäbeln hat sich bei ihm inzwischen vollends abgeschliffen. Er ist ein Wassermann. Er gehört ans Meer. Das wissen sie.

Stationiert ist Konrad, dessen voller Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden soll, im Marinestützpunkt Eckernförde. Ein paar Gebäude der militärischen Kleinstadt besiedelt ein spezielles Völkchen. Ein Blick in die zugehörige Fuhrparkhalle genügt, um zu sehen, dass hier die Hautevolee der Bundeswehr logiert: gepanzerte Eagle 5 der US-Firma General Dynamics neben Mercedes-Wolf-Offroadwagen und anderen Spezialfahrzeugen jenseits der 100 000-Euro-Marke. Speedboote mit Geschwindigkeiten bis 80 Kilometer pro Stunde. Scooter mit Elektroantrieb, ratsam bei starker Strömung. Kajaks: „kleine Silhouette, viel Platz für Gepäck, sehr schnell und wendig“, sagt Konrad. Quads für Operationen im Gelände, zurzeit sandfarben lackiert, „je nach Einsatzgebiet aber auch schnell umgespritzt und auf Kettenantrieb umgerüstet“. Funkanlagen für mehrere Zehntausend Euro das Stück. „In den letzten Jahren hat sich sehr viel getan bei der Ausrüstung.“ Zumindest bei Spezialeinheiten wird nicht gespart.

Konrad ist schlank und drahtig. Ein junger Mann, nicht gerade groß, mit Brille, Rucksack, Outdoorjacke. Im Café bestellt er Johannisbeerkuchen mit Sahne. Unter dem T-Shirt lugt ein Koi-Karpfen-Tattoo hervor. Nichts deutet darauf hin, dass da ein Elitesoldat seinen Cappuccino trinkt. Auch die Taucheruhr sieht mehr nach Mode als nach Hightech aus und wirkt weit weniger bullig als die Herrenuhren an den anderen Tischen. Doch sie ist fast ein Kilogramm schwer, aus U-Boot-Stahl gefertigt und wasserdicht bis 5000 Meter.

Die Männer vom alten Schlag werden rar

Sein Lebenslauf: geboren und aufgewachsen in Degerloch. Ein sehr sportliches Kind, das vor nichts zurückschreckt. Mit 14 bekommt er zu Weihnachten das Abo eines Tauchermagazins geschenkt. Darin liest er über Kampfschwimmer. Von da an steht fest: Er wird Kampfschwimmer. Darauf zielt sein ganzes Training: Leichtathletik, Judo, Kickboxen, Unterwasserrugby.

Er muss Umwege gehen. Nach der Schule lernt er, das ist den Eltern wichtig, etwas Normales: Elektriker in Feuerbach. Seine Geschwister bleiben in bürgerlichen Berufen – Mediendesigner, Monteur, Mechaniker. Er geht nach der Gesellenprüfung zur Marine. Um Kampfschwimmer zu werden, muss er sich zunächst, so ist es damals Vorschrift, vier Jahre verpflichten. Er arbeitet als Schiffselektriker, behält sein Ziel aber immer fest im Visier. Auch seine Mutter sieht irgendwann ein, dass das nicht nur ein Spleen ihres Sohnes ist. Konrad ist sicher, dass er es schafft. Und so kommt es tatsächlich. Er wird Kampfschwimmer.

Heute sind die Mindestanforderungen für eine Ausbildung: 1000 Meter schwimmen in 24 Minuten, 5000 Meter laufen in 22 Minuten. Acht Klimmzüge im Ristgriff. 15-mal Bankdrücken mit 50 Kilo. 30 Meter Streckentauchen. Eine Minute Zeittauchen. Alles an einem Tag. „Das ist aber allerunterstes Level“, sagt Konrad. Die körperliche und psychische Belastbarkeit der Anwärter habe in den letzten Jahren merklich abgenommen. Die Männer vom alten Schlag werden rar. Inzwischen wurde ein Aufbautrainingsprogramm eingeführt, das vor allem als Förderkurs für solche dient, die es gerade so geschafft haben.

Zwei Tage in der Ostsee

Kampfschwimmer sind triphibisch ausgebildet. Für Einsätze in der Luft, im Wasser, am Boden – für die Wüste, den Dschungel, den Schnee. „Im Grunde haben wir die gleiche Ausbildung wie das Kommando Spezialkräfte in Calw“, sagt Konrad. „Nur mit der Spezialisierung Wasser.“ Sie lernen, nachts aus 3000 Meter Höhe irgendwo in einem fremden Land abgeworfen zu werden und sich mithilfe von Satellitenaufnahmen zu irgendeinem Zielort durchzuschlagen. Sie lernen Selbstverteidigungstechniken, die auf dem israelischen Krav Maga basieren: „optisch sehr unspektakulär, allein auf Effektivität ausgerichtet“. Sie lernen, mit schwerer Ausrüstung zwei Tage lang in der Ostsee zu schwimmen, ohne sich der Erschöpfung zu ergeben. Und sie lernen das Warten. Wer zwei Tage regungslos verharrt, um ein Objekt zu observieren, muss sich selbst aushalten können.

Innere Ruhe ist trainierbar. Indem man zum Beispiel in voller Montur und mit einem Bleigürtel vom Turm in ein Becken springt, sich ohne erkennbare Eile vom Gewicht befreit, bis auf die babyblaue Bundeswehr-Badehose frei macht, auf dem Beckenboden bedächtig bis zum Beckenrand spaziert, dort schließlich in aller Gemütsruhe die Leiter hochsteigt – mag der Atemreiz auch schier unerträglich sein. „Die wenigsten sagen, dass sie es nicht mehr schaffen und aussteigen“, sagt Konrad. Oft heiße es, man müsse die Übung wegen einer Grippe abbrechen. „Aber man kennt sich ja und weiß Bescheid: Den sehen wir nicht mehr.“

Angst sei kein Wort für ihn, sagt Konrad. Er nennt es „an die Grenzen kommen“. Im Wasser passiert das nicht. Eher bei Taktikübungen im Wald: eine Woche Schinderei, kaum Schlaf. Wenn er nach längerer Pause wieder Fallschirm springt, hat er auch ein mulmiges Gefühl. „Dem muss man sich eben stellen.“ Es gibt einen Leitspruch in der Truppe: Lerne leiden, ohne zu klagen. Der Gegenentwurf zum Männerschnupfen.

Die Bezeichnung Elitesoldat mag er nicht

Konrad ist neuapostolischer Christ. „Ich glaube fest daran, dass die Seele nicht stirbt und der natürliche Tod noch nicht das Ende ist. Durch meinen Glauben habe ich auch die Kraft, den Beruf leichter auszuüben.“ Er war drei Jahre in einem Einsatzteam. Es folgten zwei Jahre als Ausbilder, dann der Laufbahnwechsel zum Offizier – er hatte geheiratet, war Vater geworden und wollte mehr Zeit mit der Familie verbringen. Auch eine finanzielle Frage für ihn: Wer nicht mehr einsatzfähig ist, verliert die Gefahrenzulage. Als Oberleutnant zur See verdient Konrad jetzt 3700 Euro netto plus 5000 Euro Jahresprämie, hält Vorträge in Bundeswehrschulen, kümmert sich um den Nachwuchs der Elitekämpfer. Wobei er „Elite“ nicht gerne hört. „Das klingt, als wären wir was Besseres. Ich habe einen besonderen Beruf und bin stolz darauf. Was Besseres bin ich aber nicht.“

Was entgegnet er Leuten, die ihm vorwerfen, das Handwerk des Tötens zu lernen? „In meinem Umfeld gibt es keinen, der so was behaupten würde“, sagt Konrad. „Kampfschwimmer haben nie den Auftrag, Menschen zu töten. Sollten wir beschossen werden, erwidern wir das Feuer, auch um unsere Kameraden zu schützen. Nach meiner Rechtsauffassung ist das Notwehr.“

Heimlich anrücken, präzise zuschlagen, unerkannt abziehen. Das ist Guerillataktik. So machen es die Taliban in den afghanischen Bergen, die Milizen in der Wüste Malis, die Piraten im Golf von Aden. Und so machen es die Kampfschwimmer, wenn es darum geht, gefährdete Staatsbürger zu evakuieren, abgeschossene Piloten zu retten, Geiseln zu befreien, militärische Stellungen auszukundschaften. „Oft bekommt der Gegner nicht mal mit, dass wir in der Nähe waren“, sagt Konrad. Die Zeit der offenen Feldschlachten ist vorbei, moderne Kriege werden asymmetrisch geführt.

US-Marines mit Fastfood-Figur

Kampfschwimmer sind dabei eine lautlose Geheimwaffe. Kein Radar, kein Sonargerät kann sie aufspüren. Nicht einmal verräterische Luftblasen steigen empor. Die Spezialkräfte tauchen mit reinem Sauerstoff, das Atem-Kohlendioxid wird in einer Patrone gebunden. Im Wasser operieren sie meistens nachts, ihre einzige Orientierung ist dann ein Kompass mit fluoreszierenden Ziffern. Um auf ein fremdes Schiff zu gelangen, schießen sie mit Druckluftgewehren ihre Enterhaken an Deck. Die sollten möglichst auf Anhieb greifen.

„Von der Qualität der Ausbildung sind wir auf Augenhöhe mit allen anderen Spezialeinheiten der Welt“, sagt Konrad. Auch erfahrene Kampfschwimmer müssen ihre Fitness immer wieder updaten – anders als etwa US-Marines, wo Konrad schon Typen mit stattlicher Fast-Food-Figur ausmachte. „Ich wunderte mich schon, was die in der Truppe zu suchen haben. Beim Reaktionsschießen wurde es mir dann klar.“

Zwischen dem Ausbruch einer Krise bis zum Einsatzbefehl liegen manchmal nur Stunden. Bei Gefahr im Verzug braucht der Verteidigungsminister kein Mandat des Bundestags. Danach muss er zwar über den Verlauf der Operation unterrichten, doch werden nur gut ein Dutzend Abgeordnete eingeweiht – Obleute, Vorsitzende und Stellvertreter im Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschuss. Kritiker bezweifeln, dass so eine „Parlamentsarmee“ funktioniert. „Zu wenig Vertraulichkeit kann tödlich enden“, sagt Konrad. „Man muss auch an unsere Sicherheit denken.“

Wo Kampfschwimmer eingesetzt werden, ist geheim. Wie viele sie sind, auch. Man kann davon ausgehen, dass es nicht viel mehr als ein halbes Dutzend Fünferteams gibt. Selbst gegenüber der Familie und engen Freunden müssen die Männer verschwiegen sein. Als Konrad seine Frau kennenlernte, wartete er lange, bis er erzählte, dass er Kampfschwimmer ist. In den ersten Monaten war er einfach Soldat.