Außerdem, räumt Marion Brasch ein, die in Jeans und T-Shirt noch immer sehr mädchenhaft wirkt, habe ihr das mehr Freiheiten gelassen. Personen der Zeitgeschichte, von Heiner Müller bis Katharina Thalbach, die sie über ihre Brüder kennengelernt hatte, kommen bei ihr nie namentlich vor, sind aber deutlich zu erkennen. „Leerstellen jenseits der Familiengeschichte“ habe sie so erzählerisch füllen können. Sie habe vor allem in Bezug auf sich selbst versucht wahrhaftig zu sein, sagt sie. „Mir war klar, dass ich auch Dinge erzählen muss, die unangenehm sind. Etwa über die Neigung zu Süchten bei uns. Und mit meiner Entwicklung lief ja nicht alles so glatt, ich habe mich mitunter mehr gekrümmt, als ich mich hätte krümmen müssen“. In der Zeitungsredaktion, wo sie nach einer Schriftsetzerlehre in der Druckerei arbeitete, im politischen Bereich, wo sie jahrelang als SED-Karteileiche nicht gerade im Widerstand agierte. Ob sie aus der Not heraus oder absichtlich einen ganz anderen Weg gewählt hat im Umgang mit Familie und Staat als ihre Brüder? „Vor allem der ältere und der jüngere hatten ja schon sehr früh die Vision, Dichter zu sein und zu rebellieren“, sagt sie, „ich dachte, ich hinke so hinterher als das kleine Mädchen, als das ich ja auch behandelt wurde.“ Gelitten habe sie darunter schon, „aber ich dachte mir oft, beschwer dich nicht bei ihnen, beschwer dich gar nicht.“ Sie wollte sich eher treiben lassen, „ich hatte nie Ambitionen, die große Botschaft in die Welt zu schicken, mein Ehrgeiz ist nicht besonders ausgeprägt, das lässt mir viel Freiheit“. Zurechtkommen, das war ihr Wunsch.

 

Sie hat eine stille Zickzackentwicklung genommen

Und so hat sie eine stille, letztendlich erfolgreiche Zickzackentwicklung genommen, während ihre Brüder die laute Konfrontation suchten. Sie lernte Gitarre spielen, sang neben der Arbeit in einer Band, und irgendwann Mitte der achtziger Jahre landete sie mehr aus Zufall beim durchaus nicht staatsnahen Jugendsender DT64. „Das Radio entsprach mir so, weil ich mich beim Moderieren zunächst vor allem durch die Musik ausdrücken konnte. Später habe ich dann auch Interviews und Reportagen gemacht.“ Stille Stärke, ist es das, was sie ausmacht? „Kann schon sein“, antwortet Marion Brasch, „an all der Trauer bin ich natürlich auch gewachsen. Und später habe ich die Kraft ja auch oft genug brauchen können, zum Beispiel als ich schwanger war und alleinerziehend. Die Geburt ihrer Tochter sei dann für sie auch „wie eine neue Geburt“ gewesen, „plötzlich diesen Menschen zu haben, der mir ganz nah ist, ohne dass das überschattet wird“. Wenn sie die inzwischen Zwanzigjährige sehe, denke sie „Mensch, da hast du was richtig gemacht, und da bin ich stolz drauf“. „Ab jetzt ist Ruhe“, betitelt nach einem Gutenachtritual ihrer Mutter, sagt Brasch und strahlt ein bisschen, hat sie Lena gewidmet: „Es ist ja auch die Geschichte ihrer Familie.“