Katharina Müller-Elmau gehört zu den vielschichtigsten Schauspielerinnen unserer Zeit, darf es aber nur selten zeigen. Vor allem im Fernsehen hat sie Karriere gemacht. Am kommenden Dienstag ist sie in einer Komödie auf Sat 1 zu sehen.

Stuttgart - Vielleicht liegt die wahre, die einzige Faszination in der Metamorphose. Was einst Entdecker über unbekannte Meere und durch Eiswüsten trieb, die Sucht nach dem Neuen, das Verlangen nach der Veränderung, lässt uns heute das Fernsehen in alltagskompatiblen 90 Minuten erleben. Wie jetzt: Nicky, Chefeinkäuferin eines Online-Modeversands, verliert Job wie Liebhaber und das, was gerade noch ein Leben war, verflüchtigt sich in dröhnende Leere, schnurrt zu einer Erinnerung zusammen. Sie wird zum mythischen Mittelpunkt, und der Zuschauer fühlt mit ihr. Die Zynikerin verwandelt sich in Eva. Diese verbildlichte Sentenz aus der Sat 1-Produktion „Mein Lover, sein Vater und ich“, die am kommenden Dienstag ausgestrahlt wird, ist eine einzige Seelenbewegung. Sie springt vor das geistige Auge, formt sich zur Erkenntnis: Gewissheiten gibt es nicht. Und das liegt an Katharina Müller-Elmau, die dieser brüchigen Heldin zunächst Arroganz und selbstzerstörerische Kraft verleiht, um sie dann ebenso glaubwürdig zum Modell einer verletzten Weiblichkeit werden zu lassen.

 

Neugierig und weltzugewandt

Diese Vielschichtigkeit steht ihr und charakterisiert nicht nur Rolle, sondern auch Darstellerin. Wir treffen uns in einem Café am Münchener Marktplatz. Die 48-Jährige wohnt nicht weit davon entfernt, aber fragt man sie, warum sie diesen Ort gewählt hat, hört man keine banalen Verweise auf Bequemlichkeit und Opportunität. Viele Zeitungen lägen hier aus, sagt sie, und im benachbarten Stadtmuseum gebe es ein kleines Kino, das Schauplatz eines jährlichen Filmfestivals sei. Neugierig, weltzugewandt, eine Ambivalenz aus Strenge und Leidenschaft als homogenes Fluidum: ihr Naturell entkommt den Schubladen, in denen sie von einfallslosen Produzenten und Redakteuren einsortiert wurde.

Denn sie ist im deutschen Fernsehen die Verführerin vom Dienst. Meist dunkel schattiert, haben ihre Charaktere häufig Deformationen, die jede Karriere anrichtet, wenn sie nur zielstrebig genug verfolgt wird. Ihre eigene kam ohne Umwege und Abschlüsse aus: Das Gymnasium schmiss sie, eine Schauspielschule hat sie nicht besucht. „Da blieb mir vielleicht vieles erspart.“ Stattdessen saß sie schon als Kind im Theater, wenn ihr Großvater, ein Regisseur, proben ließ. Seinen Rat hat sie noch im Ohr: „Wenn du Theaterspielen lernen willst, gehe nicht auf eine Schule, gehe ins Theater.“ Und weil ihre Großmutter eine ausgebildete Sängerin war, kann Müller-Elmau auch singen. Verbrachte sie die Schulferien bei den Großeltern, wurde sie für Privatstunden zum Klavier zitiert („Ich war mir dessen überhaupt nicht bewusst, das war eine Selbstverständlichkeit.“).

Mutter einer neunjährigen Tochter

Ihr erstes Engagement bekam sie ebenfalls beiläufig. Sie saß mit ihrem Vater in der Kantine des Münchner Residenztheaters, zu dessen Ensemble der Schauspieler damals gehörte, als ein Regisseur an ihrem Tisch vorbeikam und sie mit dem Ausruf „So eine brauche ich für mein Stück!“ sofort verpflichtete.

Heute ist sie nicht mehr im festen Engagement, die familienfeindlichen Arbeits- und Probenzeiten harmonieren nicht mit dem Alltag einer Mutter, die sich um ihre neunjährige Tochter kümmern will. Muss sie auch nicht. Müller-Elmau ist als Fernsehschauspielerin erfolgreich, auch wenn sie diese Wertung hinterfragt. „Ich weiß nicht. Mir erscheint es, als ob Kolleginnen auf der Autobahn an mir vorbeirasen und ich mich auf einer kurvigen Landstraße zum Ziel bewege.“ Diese Skepsis entspringt nicht der Anzahl, sondern dem Typus vieler Rollen, die ihr angeboten werden. Meist ist sie Ausstellungsobjekt, dabei wäre sie lieber Erzählerin, verlangt nach soliden Geschichten voller Bewegung, Aufruhr und Raserei.

Realität und Fiktion verschmelzen

Was sie aus solchen Gelegenheiten machen kann, zeigt „Mein Lover, sein Vater und ich“. Sie sitzt am Sterbebett des Vaters, und diese Szene ist leise, verinnerlicht und elegisch, das Psychogramm einer ausweglosen stummen Verzweiflung. Müller-Elmau schenkt sich so vollkommen diesem Moment, dass sie daraus die Wahrheit des Lebens zaubert. „Die Kunst ist eine Vermittlung des Unaussprechlichen“, schrieb Goethe, und die bezwingende Gewalt dieser leidenden Turnschuh-Madonna illustriert das Zitat. Kaum ein Muskel zuckt, wenn sich in ihr Trauer und Schmerz zu einem homogenen Gemenge verdichten, das, so scheint es, sich wie eine Decke über ihr klares, markantes Antlitz legt. Allein sie weiß, ob dabei Realität und Fiktion verschmelzen: Ihr Vater starb mit 69 Jahren an Krebs. Kann man die Biografie, wie das manche Schauspielschulen lehren, immer von der Rolle abtrennen? Die Antwort ist eine Gegenfrage: „Ist das denn notwendig? Ich finde es legitim, nach Schnittmengen und Erfahrungen zu suchen.“

Ihr Busen war zu sehen

Dass sie, autonom wie Autodidakt, häufig auf äußere Attribute reduziert wird, ficht sie nicht an. Ihre nonchalante Virilität, die ohne feminine Affektiertheit auskommt, ist wie eine Landschaft, die keine Zeit zu kennen scheint. Wenn sie lacht, denkt man an den Vesuv, und bisweilen wirkt es während unseres Gesprächs, als bekäme man etwas geschenkt: eine charmante, verborgene Welt. Dieses Außen ist es auch, das sie sucht: „Wenn man als Darstellerin nur das abruft, was man sich vorher zu Hause am Tisch überlegt hat, dann ist man schon im Gestern.“ Nur dem Platten, dem Aufdringlichen, dem Grellen zeigt sie die Zähne. „Da wurde ich gelinkt“, sagt sie, wenn man sie auf „Japaner sind die besseren Liebhaber“ anspricht, den einzigen Film, in dem ihr Busen zu sehen war.

Damals, 1995, war ihr zugesagt worden, diese Sekunde nicht zu zeigen. Ihr Ärger über diesen Vertrauensbruch ist immer noch nicht verraucht, denn eigentlich sind es in ihren Filmen die sie umwerbenden Männer, die sich entblößen. Sie geben alles auf, was sie unverwechselbar, cool und interessant macht. Und das kann man nur mit einer wie ihr inszenieren. Mit einer, die ist, was sie in anderen auslöst. Authentisch, eruptiv, ein Naturschauspiel.