Sie ist 23 Jahre alt und wird häufig als „aufstrebender Stern am Schauspielhimmel“ bezeichnet. Anna Drexler kann aber mit solchen Kategorien nicht viel anfangen. Unsere Autorin Ulrike Frenkel hat die junge Frau in München getroffen.

Stuttgart - Sonja hält den Laden zusammen. Muntert ihren alten Vater auf, hindert den Amtsarzt Astrow am Saufen, obwohl sie ihn lieber küssen würde, umarmt ihren unglücklichen Onkel Wanja – wenn auch mit den Worten „warum immer ich“. Da ist kein Dekor in Karin Henkels und Johan Simons Münchner Inszenierung von Tschechows die Leere menschlicher Existenz umkreisenden Endspiel, das auf einem russischen Landgut stattfindet, und sich im besten Fall auf die ganze Welt übertragen lässt. Nur sieben großartige Schauspieler, unter denen die Jüngste herausleuchtet. Anna Drexler gibt ihrer Sonja, die mit schiefer Brille und fettigen Haaren nicht schön ist, aber ein gutes Herz hat, die sich um alle kümmert, nur nicht genug um sich selbst, eine derart flehentliche Präsenz und großartige Stimme mit, dass sie selbst Benny Claessens als Gutsverwalter und Wiebke Puls als Stiefmutter Elena überstrahlt.

 

Man ist deshalb, was jetzt blöd klingt, aber vielleicht doch etwas über die Fähigkeiten der 23-Jährigen aussagt, ehrlich ein bisschen erstaunt, als zur Verabredung nach der Vorstellung keine schusselige graue Maus in der Theaterkantine der Kammerspiele eintrifft, sondern eine sehr zarte, hübsche, blonde Frau. Wie gelingt so eine Verwandlung? „Ich sehe das nicht so, dass man in eine Figur reinfinden und dann wieder rausfinden muss“, sagt Anna Drexler, die anstatt einer plumpen Wollkutte nun ein fließendes Kleid und eine praktische Allwetterjacke trägt. „Ich zieh das Kostüm an, und dann fühl ich das. Und später ziehe ich das Kostüm aus, und es ist wieder weg.“ Die Sonja habe sie von Anfang an als Frau gesehen, die versuche, inmitten eines riesigen Chaos Fassung zu bewahren. „Ich stelle mir da immer ein Schiff vor, das sinkt, und trotzdem probiert sie, Stimmung zu machen, sich selber zu zentrieren, und damit die Situation.“

Elevin im dritten Jahr

Ihre zwischen herzzerreißend und hochkomisch changierende Interpretation dieser sehr komplexen Figur hat Anna Drexler Glück gebracht im vergangenen Jahr, dabei war das Angebot völlig überraschend gekommen. Sie hatte den Text an einem Wochenende zu lernen und dann „musste ich mutig sein und springen“, erzählt sie, denn an den Münchner Kammerspielen waren zwei Wochen vor der Premiere von „Onkel Wanja“ Regisseurin und Darstellerin der Sonja ausgefallen. Hausherr Johan Simons übernahm die Inszenierung, und für die tragende Rolle wurde Drexler, damals noch Elevin im dritten Jahr der örtlichen Otto-Falckenberg-Schule, ausgewählt. Die in Rekordzeit fertiggestellte Produktion wurde ein Riesenerfolg, und sie bekam sofort ein festes Engagement an dem renommierten Haus angeboten, wo sie nun mit und neben Größen wie André Jung, Sandra Hüller oder Brigitte Hobmeier arbeitet.

„Alles daran ist ein großer Traum, denn hier kann ich mit tollen Leuten auf wahnsinnig hohem Niveau das machen, was ich machen möchte“, sagt die Tochter zweier Schauspieler, die sich früher auch ein Leben als Konditorin oder Tierärztin hätte vorstellen können. Die es dann trotz einiger Zweifel aber doch als Schauspielerin auf die Bühne zog: „Ich kannte durch meine Eltern auch viele Nachteile dieses unsteten Lebens von ganz nahe und meinte deshalb, ich müsse etwas total anderes versuchen.“ Doch dann hatte sie in ihrer Berliner Waldorfschule die weibliche Hauptrolle in Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“ übernommen, „und da war, obwohl ich am Anfang furchtbares Lampenfieber hatte, die Lust am Spielen für mich entfacht“. Dass sie nach einigen anderen Stationen 2009 in München direkt an der Schauspielschule angenommen wurde, sich seither in der Stadt wohlfühlt, mit ihrem Freund, der ebenfalls Schauspieler ist, dort inzwischen eine winzige Wohnung teilt und so erfolgreich ist – „da hab ich schon die Philosophie, dass man sich gegenseitig findet“.

Anna Drexler wollte geerdet bleiben

Wenn man denn beim Suchen Klugheit walten lässt. Ihren Weg in den Beruf war Anna Drexler nach dem Abitur ganz bewusst allein gegangen, „ich möchte keine Vorteile daraus beziehen, dass ich mit meinen Eltern in Verbindung gebracht werden könnte. Das funktioniert gut, denn meine Mutter ist seit 15 Jahren nicht mehr aktiv, sie hat uns drei Schwestern alleine großgezogen, und mein Vater heißt ganz anders als ich.“ Beide hätten sich zu Anfang große Sorgen um die ökonomische Zukunft der Tochter gemacht, als Vorteil ihrer Herkunft erachtet sie deshalb, „dass ich die Situation als Schauspielerin ziemlich realistisch einschätzen kann und zum Beispiel weiß, dass man sich durch gute oder schlechte Kritik von außen nicht unter Zwang setzen darf. Oder dass man eben nie weiß, wie es weitergeht.“ Sie wolle trotz ihres künstlerischen Hochstarts vor allem geerdet bleiben, „in kleinen Schritten denken“. Obwohl oder weil es besser für sie kaum laufen könnte als derzeit, denn 2013 wurde Anna Drexler auch noch von „Theater heute“ als Nachwuchsschauspielerin des Jahres ausgezeichnet.

Das bedeutet etwas in der Branche, darüber freut sie sich natürlich, aber dennoch kann sie nichts damit anfangen, wenn sie immer wieder als „neuer Stern am Schauspielhimmel“ bezeichnet wird. Angeben ist nicht so ihr Ding, lieber erzählt sie von der zweiwöchigen Wanderung, die sie gemeinsam mit ihrem Freund im letzten Sommer quer über die Alpen von Bad Tölz nach Bozen unternommen hat: „Für so eine Tour möchte ich so gerne mal sechs Wochen lang Zeit haben.“ Und von ihrer Arbeit, die sie ungeheuer ernst nimmt. Gerade feierte sie an den Kammerspielen ihre Premiere als Julie in Ferenc Molnàrs „Liliom“, „ein Wahnsinnsstück“, kürzlich übernahm sie eine kleine Rolle im neuen Film von Marcus H. Rosenmüller. Die Filmarbeit mache ihr auch Spaß, sagt sie, und es braucht wohl keine großen prophetischen Gaben, um vorauszusagen, dass Anna Drexlers wandlungsfähige Gestalt in Zukunft sicher öfter auf der Leinwand zu sehen sein wird.