Michael Luz hat als Statist in der Stuttgarter Oper in „La Bohème“ mitgespielt. Seine Erlebnisse hat der Grafiker zeichnerisch festgehalten. Nun hat Luz ein Skizzenbuch veröffentlicht.

Stuttgart - Den ersten Blick hinter die Kulissen eines Theaters hat Michael Luz einem Zufall zu verdanken. Der Künstler war einer unter vielen Zuschauern, die sich zu Beginn des Jahres „Das kalte Herz“ im Staatstheater anschauten. Bis er, neben ein paar anderen Zuschauern, auf die Bühne geholt wurde – die Mitwirkung ahnungsloser Theaterbesucher gehörte zur Inszenierung des Stücks. Er hat brav mitgespielt, erzählt er heute, was ja auch kein Problem gewesen sei, er stehe schließlich gerne im Mittelpunkt. Luz lacht herzlich, lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück und gerät ins Plaudern. „Im Anschluss an den Auftritt mussten wir dann von der Bühne abgehen, aber hinten rum, hinter den Kulissen.“ Er gestikuliert, beugt sich in seinem Stuhl wieder vor. „Und was da passiert, während einer Aufführung, das ist ja der helle Wahnsinn! Das glaubt man gar nicht!“

 

Das war der Moment, in dem Luz beschließt, einmal über einen längeren Zeitraum hinter die Kulissen blicken zu wollen. Und wieder spielt ihm der Zufall in die Hände. Ein paar Tage später wird ihm ein Aufruf von der Statisterie der Oper weitergeleitet, die auf der Suche nach Komparsen für „La Bohéme“ ist. Große, männliche Statisten waren gesucht. Luz misst knapp über zwei Meter. „Ich habe unter der angegebenen Nummer angerufen, habe am selben Tag der Abteilung noch einen Besuch abgestattet und Ende März haben die Proben begonnen.“ Luz grinst. „Ging alles ganz schnell und hat unheimlich Spaß gemacht.“

Einfach nur mal so hinter die Kulissen einer großen, renommierten Bühne zu schauen und dabei ein bisschen Theaterluft zu schnuppern, das reicht dem studierten Grafikdesigner dann aber doch nicht. Der 50-Jährige beobachtet bei den Proben die Schauspieler, den Chor und die vielen anderen Mitwirkenden ganz genau. Ein paar Mal nimmt er auch seinen Fotoapperat mit um die Szenen besser in Erinnerung halt zu können und später besser auf das Papier bannen zu können. „Das fanden viele aber doof“, sagt er. „Also habe ich stattdessen mein Skizzenbuch mitgenommen und angefangen dort zu zeichnen.“

Viele kleine Anekdoten hat der Stuttgarter auf das Papier gebracht – zum Beispiel, wie er es bei einer Probe nicht rechtzeitig zu seinem Einsatz schaffte, weil ein Kreislaufzusammenbruch ihn niedergestreckt hatte und er mehrmals laut ausgerufen wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kannten alle den Mann, der den Tambourmajor spielte. Oder er erinnert sich, wie sein Garderobier ihn kurz vor der Premiere versuchte zu beruhigen. „Auf so eine süße, herzliche Art, wie es nur ein Garderobier kann“, erinnert sich der Illustrator.

An rund 25 Vorstellungen hat Michael Luz als Tambourmajor in „La Bohème“ mitgewirkt, ob er eine weitere Spielzeit dabei ist, ist er sich nicht sicher. „Ich habe ja auch noch einen richtigen Beruf und kann nicht weiter immer nur Statist an der Oper sein“, sagt er. Wenn er gerade nicht bei Proben oder Aufführungen ist, dann sitzt er in seinem Atelier im Stuttgarter Osten und zeichnet. Es ist eine Wohnung im Dachgeschoss, mit großen Fenstern, die die weitläufigen Räume mit Licht durchfluten. Seit 15 Jahren arbeitet Luz in dem Atelier. In seinem Bücherregal stehen neben Bildbänden von Dali, Monet und Gaudi auch Bücher vom Streetart-Künstler Banksy oder bunt illustrierte Kindergeschichten. Die Wände nutzt Luz als Ausstellungsfläche für seine eigenen Werke. Momentan hängen dort seine Wortwitz-Zeichnungen, wie er sie nennt. Da sieht der Betrachter zum Beispiel einige Steaks in Liegestühlen, die sich am Strand in der Sonne entspannen. Darunter steht: Gammelfleisch.

„Das ist mein Schalk“, sagt Michael Luz, streckt seine langen Beine aus, verschränkt die Arme bequem hinter dem Kopf und lässt sich auf seinem Stuhl nach hinten kippen. „Ich kann mich eben über meine Zeichnungen am besten ausdrücken.“ Vor etwa fünf Jahren hat er zusätzlich zu seinen gewohnten Stiften ein elektronisches Tablet gekauft, auf dem er viel zeichnet und arbeitet. „Aber nicht nur“, sagt er und ergänzt emotionslos, „das ist halt nur ein weiteres Werkzeug, das ich zum Arbeiten benutze.“ Denn in einem Rollschrank lagern immer noch unzählige Filz- und Buntstifte, Kreidefarben, Tusche und Tinte.

Auf der großen Leinwand entsteht ein Bild, ein Boot ist darauf zu erkennen. Luz winkt ab. „Das mach ich nur, damit ich den Schwung im Arm nicht verliere. Sonst zeichne ich ja eher aus dem Handgelenk heraus.“ Er unterstreicht seine Worte mit den dazu passenden Bewegungen, um mit einem Schwung seine bequeme Pose wieder zu verlassen, wippt mit dem Stuhl nach vorne und zieht ein Skizzenbuch hervor, das 25., wie er hinzufügt. Er blättert schnell durch, zeigt auf Gesichter von älteren Herren, die in einem offensichtlich italienischen Fischerort Karten spielen, dabei rauchen oder ein Eis essen. „Das ist in meinem letzten Urlaub entstanden“, sagt er. Was daraus wird, da ist er sich noch nicht sicher. Seine Geschichte über die Oper war übrigens Skizzenbuch Nummer 24.