Portugals Außenminister Augusto Santos Silva ruft die Europäer nach Donald Trumps Sieg zu Selbstbewusstsein und Einigkeit auf. Von den Lösungsvorschlägen, die Deutschlands Finanzminister Schäuble zur Wirtschaftskrise in der EU anbietet, hält er allerdings nichts.

Stuttgart - - Während Donald Trump in Washington sein Regierungsteam zusammenstellt, suchen die Europäer nach einer Haltung gegenüber dem neuen US-Präsidenten. In Brüssel trafen sich dazu die EU-Außenminister. Portugals Vertreter Augusto Santos Silva rechnet damit, dass die Populisten in Europa durch Trump weiteren Zulauf bekommen.
Minister Silva, Trumps Sieg hat viele Deutsche geschockt. Sie auch?
Ehrlich gesagt, ich war nicht so überrascht. Aber ich verstehe, dass die Wahl Sorgen und Ängste auch in Europa auslöst. Gerade für Portugal sind die USA seit Jahrhunderten ein enger Verbündeter. Heute sind wir über die Nato und viele bilaterale Verträge eng miteinander verbunden. Die künftige US-Regierung wird neue Prioritäten setzen. Dennoch sind wir zuversichtlich, dass die wirtschaftlichen und militärischen Grundpfeiler der transatlantischen Beziehungen stehen bleiben.
Donald Trump hat allerdings während des Wahlkampfes viele dieser Grundpfeiler in Frage gestellt: den Freihandel, die Nato, eigentlich das gesamte Verhältnis zwischen den USA und Europa.
Das stimmt. Aber wir müssen abwarten, ob er all seine markigen Aussagen aus dem Wahlkampf wirklich umsetzt. Ich bin selbst Politiker, ich kenne den Unterschied zwischen den Dingen, die wir im Wahlkampf sagen, wenn wir Dinge zuspitzen müssen, und dem, was wir dann wirklich machen, wenn wir gewählt sind.
Trump hat auch die Bereitschaft der USA, einem europäischen Nato-Mitglied im Kriegsfall beizustehen, in Zweifel gezogen. Stellt er damit nicht die Atlantische Allianz als Ganzes in Frage?
Ein Rückzug der USA aus der Beistandsverpflichtung wäre eine Katastrophe, es würde die Sicherheit in der gesamten Welt gefährden. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich ein Präsident Trump weiter an die Abmachungen halten wird, an die sich auch seine Vorgänger im Sinne von Sicherheit und Stabilität gehalten haben.
Trotzdem: Was bedeutet der voraussichtliche Kurswechsel der US-Außenpolitik für Europa?
Das bedeutet, dass Europa geeinter werden muss und die Integration vorantreiben muss – auch bei der europäischen Verteidigungsstruktur. Wichtig ist, die Menschen für die gemeinsamen europäischen Interessen und Projekte zu begeistern. Wir müssen die wirtschaftliche Einheit vorantreiben, den Terrorismus können wir nur gemeinsam bekämpfen, das soziale Zusammenwachsen ist wichtig, das Schaffen von Arbeitsplätzen ist heute eine europaweite Herausforderung.
Es dürfte schwierig werden, die Menschen von „mehr Europa“ zu überzeugen. In fast allen EU-Ländern gibt es im Moment starke politische und populistische Strömungen, die keine engere Zusammenarbeit auf EU-Ebene wollen.
Wir müssen die Populisten politisch bekämpfen. Das ist eine der zentralen Voraussetzungen für eine bessere europäische Integration. Wir müssen die Jungend mobilisieren, die gut Gebildeten, die jungen Unternehmer. Wir alle zusammen müssen für die europäischen Ideale kämpfen und gegen die Rückkehr zum Nationalismus.
Auch Portugal hat mit vielen Problemen zu kämpfen – nicht zuletzt mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit. Ist es da nicht verständlich, dass viele Bürger enttäuscht sind von Europa?
Aus diesem Grund müssen wir mehr dafür tun, die Wirtschaft wieder anzuschieben – und das kostet auch Geld. Wir haben die große Rezession überstanden, aber wir haben noch immer zu niedrige Wachstumsraten. Das ist schlecht. Wenn wir den jungen Menschen nicht wieder mehr Hoffnung geben, verlieren wir sie an die Populisten.
Ihre Regierung hat die Sparmaßnahmen der konservativen Vorgängerregierung in Portugal beendet. Sie wird dafür vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble hart kritisiert. Er ist überzeugt, dass Sie den falschen Weg gehen. Hat er Recht?
Nein! Bei allem Respekt für Minister Schäuble: da liegt er völlig falsch. Die Zahlen zeigen, dass wir mit unserer Methode der kontrollierten Investitionen bessere Ergebnisse erzielen als mit einer überharten Sparpolitik.
Schäuble ist überzeugt, dass der Kern des Übels in vielen europäischen Ländern die übermäßige Verschuldung ist, der nur durch Sparen und auch schmerzhafte Reformen am Sozialstaat beizukommen sei.
Es ist wichtig zu verstehen, was Sparprogramme bedeuten. Sparen durch ständiges Kürzen von Renten, Löhnen oder anderen Ausgaben ist nicht gut. Wir brauchen eine intelligente Fiskalpolitik mit klaren Zielen, kombiniert mit gezielten öffentlichen Investitionen. Die Zahlen zeigen, dass unser Vorgehen bessere Resultate erzeugt. In diesem Jahr wird das staatliche Defizit nach unseren Berechnungen 2,4 Prozent des Bruttosozialproduktes betragen. Nächstes Jahr werden es 1,6 Prozent sein. Das heißt, wir sind unter der von der EU geforderten Drei-Prozent-Marke. Wir verlassen langsam den Krisenmodus und bereiten den Grund für stabiles wirtschaftliches Wachstum.
Das „Ja!“ der Briten zum EU-Ausstieg dürfte allerdings die Krise Europas weiter verschärfen. Zudem müssen wir wohl davon ausgehen, dass Marine Le Pen, Geert Wilders und anderen der Erfolg Trumps einen weiteren Schub bringt.
Das gebe ich Ihnen Recht. Viele Populisten und Nationalisten in Europa sehen sich nun im Aufschwung. In den kommenden Monaten finden in vielen Ländern Europas Wahlen statt: in Österreich, in Frankreich, in Deutschland. Das wird eine entscheidende Zeit und es wird sich zeigen, ob die Pro-Europäer - wie ich einer bin – diese Zeit überstehen werden. Es wird schwer, aber wir müssen sehen, dass wir dieses Aufkeimen des Nationalismus in den Schranken halten. Wie gefährlich der Nationalismus ist, hat die Geschichte des 20. Jahrhunderts gezeigt.
Was würde es bedeuten, wenn Le Pen französische Präsidentin wird?
Das wäre eine Katastrophe…
…und das Ende der Europäischen Union?
Ich bin nicht so pessimistisch. Der Sieg Trumps hat zwar gezeigt, dass Politik in unseren Zeiten immer weniger voraussagbar wird. Ich wage dennoch eine Prognose: der rechtsextreme Front National mit Marine Le Pen an der Spitze wird die Präsidentenwahl in Frankreich nicht gewinnen.

Augusto Santos Silva, geboren 1956, ist seit Oktober 2015 portugiesischer Minister für Auswärtige Angelegenheiten in der Regierung des Sozialistenchefs Antonio Costa.

 

Der Kultur- und Kommunikationssoziologe bekleidete seit 1999 verschiedene Regierungsämter – zunächst als Staatssekretär, ab 2000 auch als Minister. Er führte das Erziehungsressort, war Kulturminister, Minister für Parlamentsangelegenheiten und Verteidigungsminister.