Die in den USA geschulten PR-Manager Essebsis intonieren dessen Auftritte mit apokalyptischen Filmszenen. Zwielichtige Turbanträger mit Sonnenbrillen, gestikulierende Salafisten in Nahaufnahme. Mit schriller Stimme deklamieren sie die Scharia für Tunesien – vom Essebsi-Publikum mit höhnischem Gejohle quittiert. Andere mit dämonischen Bässen untermalte Sequenzen zeigen junge Vermummte, die eine schwarze ISIS-Fahne hoch oben auf dem Uhrenturm im Stadtzentrum schwenken, dem Wahrzeichen von Tunis.

 

Essebsi selbst dagegen, dessen Nidaa-Tounes-Partei im Oktober von der Bevölkerung aus dem Stand heraus zur stärksten Fraktion im neuen Parlament gekürt wurde, schlägt einen moderateren Ton an. Energisch biegt er sich die Mikrofone am Pult zurecht. „Egal, welche Ideologie, wir müssen Tunesien einigen, wir müssen zusammenarbeiten, sonst enden wir wie Ägypten und Libyen“, ruft er mit fester Stimme. Sätze, die wie eine kalte Dusche auf seine aufgepeitschten Anhänger wirken und die er in seiner 30-minütigen Wahlkampfrede sechsmal wiederholt.

Seine Partei Nidaa Tounes, die sich als Bollwerk gegen die Ennahda-Muslimbrüder versteht, ist ein Sammelbecken alter Regimeanhänger, enttäuschter Linker und von den Salafisten genervter Akademiker. Essebsi aber weiß auch, wie gefährlich seiner Heimat eine noch tiefere innere Spaltung werden könnte und dass er Ennahda vermutlich als Koalitionspartner in der künftigen Regierung braucht.

Ziel ist der Kampf gegen Terrorismus

Er inszeniert sich als der neue Bourguiba, der neue Übervater Tunesiens, der einzige unter den Präsidentschaftsbewerbern, der das Beste des tunesischen Erbes, die staatliche Unabhängigkeit 1956 und die demokratische Revolution 2011 in sich vereint. „Ich will aus Tunesien ein modernes Land des 21. Jahrhunderts machen“, gibt sich der Redner staatsmännisch und verspricht mehr Arbeitsplätze und Investitionen sowie mehr innere Sicherheit und einen entschiedenen Kampf gegen Terrorismus. Er sei dagegen, alte politische Rechnungen zu begleichen. „Tunesien braucht in den nächsten Jahren alle seine Bürger“, umwirbt er die Zweifler, die ihn als alten Regime-Wolf im neuen revolutionären Schafspelz sehen.

Präsidentschaftskandidat Hamma Hammami von der linken Volksfront auf Stimmenfang. Foto: dpa

Zu den Skeptikern gehört die Künstlertruppe des El-Hamra-Theaters im Zentrum von Tunis. „Kreativ sein heißt widerstehen, und widerstehen heißt, kreativ sein“, hatten sie zu Zeiten des Diktators Ben Ali stets als trotziges Banner über ihrem Eingang. Zuschauer und Schauspieler verstanden sich als eine Insel des Widerstands. Jetzt fühlen sie sich von neuen Gegnern belagert, von den Islamisten der Ennahda genauso wie von Essebsis Regime-Wendehälsen. „Was werden Sie tun, wenn ein Künstler verhaftet wird, oder wenn ein Sänger von Salafisten zum Beten gezwungen und verprügelt wird?“, will der bekannte Blogger Azyz Amami von dem Kandidaten Hamma Hammami auf der Bühne wissen, dessen linke Volksfront bei den Parlamentswahlen überraschend stark auf dem vierten Platz landete. 200 Zuhörer sind zu dem Werkstattgespräch mit dem Kandidaten gekommen, der eher wie ein ergrauter Literaturprofessor wirkt als wie ein dampfiger Arbeiterführer.

Die in den USA geschulten PR-Manager Essebsis intonieren dessen Auftritte mit apokalyptischen Filmszenen. Zwielichtige Turbanträger mit Sonnenbrillen, gestikulierende Salafisten in Nahaufnahme. Mit schriller Stimme deklamieren sie die Scharia für Tunesien – vom Essebsi-Publikum mit höhnischem Gejohle quittiert. Andere mit dämonischen Bässen untermalte Sequenzen zeigen junge Vermummte, die eine schwarze ISIS-Fahne hoch oben auf dem Uhrenturm im Stadtzentrum schwenken, dem Wahrzeichen von Tunis.

Essebsi selbst dagegen, dessen Nidaa-Tounes-Partei im Oktober von der Bevölkerung aus dem Stand heraus zur stärksten Fraktion im neuen Parlament gekürt wurde, schlägt einen moderateren Ton an. Energisch biegt er sich die Mikrofone am Pult zurecht. „Egal, welche Ideologie, wir müssen Tunesien einigen, wir müssen zusammenarbeiten, sonst enden wir wie Ägypten und Libyen“, ruft er mit fester Stimme. Sätze, die wie eine kalte Dusche auf seine aufgepeitschten Anhänger wirken und die er in seiner 30-minütigen Wahlkampfrede sechsmal wiederholt.

Seine Partei Nidaa Tounes, die sich als Bollwerk gegen die Ennahda-Muslimbrüder versteht, ist ein Sammelbecken alter Regimeanhänger, enttäuschter Linker und von den Salafisten genervter Akademiker. Essebsi aber weiß auch, wie gefährlich seiner Heimat eine noch tiefere innere Spaltung werden könnte und dass er Ennahda vermutlich als Koalitionspartner in der künftigen Regierung braucht.

Ziel ist der Kampf gegen Terrorismus

Er inszeniert sich als der neue Bourguiba, der neue Übervater Tunesiens, der einzige unter den Präsidentschaftsbewerbern, der das Beste des tunesischen Erbes, die staatliche Unabhängigkeit 1956 und die demokratische Revolution 2011 in sich vereint. „Ich will aus Tunesien ein modernes Land des 21. Jahrhunderts machen“, gibt sich der Redner staatsmännisch und verspricht mehr Arbeitsplätze und Investitionen sowie mehr innere Sicherheit und einen entschiedenen Kampf gegen Terrorismus. Er sei dagegen, alte politische Rechnungen zu begleichen. „Tunesien braucht in den nächsten Jahren alle seine Bürger“, umwirbt er die Zweifler, die ihn als alten Regime-Wolf im neuen revolutionären Schafspelz sehen.

Präsidentschaftskandidat Hamma Hammami von der linken Volksfront auf Stimmenfang. Foto: dpa

Zu den Skeptikern gehört die Künstlertruppe des El-Hamra-Theaters im Zentrum von Tunis. „Kreativ sein heißt widerstehen, und widerstehen heißt, kreativ sein“, hatten sie zu Zeiten des Diktators Ben Ali stets als trotziges Banner über ihrem Eingang. Zuschauer und Schauspieler verstanden sich als eine Insel des Widerstands. Jetzt fühlen sie sich von neuen Gegnern belagert, von den Islamisten der Ennahda genauso wie von Essebsis Regime-Wendehälsen. „Was werden Sie tun, wenn ein Künstler verhaftet wird, oder wenn ein Sänger von Salafisten zum Beten gezwungen und verprügelt wird?“, will der bekannte Blogger Azyz Amami von dem Kandidaten Hamma Hammami auf der Bühne wissen, dessen linke Volksfront bei den Parlamentswahlen überraschend stark auf dem vierten Platz landete. 200 Zuhörer sind zu dem Werkstattgespräch mit dem Kandidaten gekommen, der eher wie ein ergrauter Literaturprofessor wirkt als wie ein dampfiger Arbeiterführer.

Kandidat Hammami erzählt von seinen Verhaftungen

Das Foyer ist voll mit Plakaten früherer Aufführungen. Weder das Ben-Ali-Regime vor dem Arabischen Frühling noch die postrevolutionäre Übergangsregierung unter Führung von Ennahda hätten Geld für Kultur lockergemacht, klagen die Kreativen. Im ersten Rang liegt die Hälfte der Sitze in Trümmern, die rotsamtigen Sesselreihen im Parkett quietschen. „Kultur ist das beste Gegenmittel gegen islamistische Engstirnigkeit und säkularen Machtmissbrauch“, plädiert Fathi Hadaoui, der als Filmschauspieler in Vorabendserien ein Millionenpublikum hat. Kandidat Hammami jedoch lässt sich keine finanziellen Versprechungen entlocken, erzählt stattdessen von seinen über zwanzig Verhaftungen und Folterungen, als ihn Ernest Hemingways Roman „Der alte Mann und das Meer“ vor der totalen Verzweiflung bewahrte. „Angst verhindert nicht den Tod, aber Angst verhindert das Leben“, schließt er sein Plädoyer für ein demokratisches Tunesien. Ein Satz, den das Publikum mit dankbarem Beifall quittiert.

Im Publikum stehen viele verschleierte Frauen

„Wir gewinnen – oder wir gewinnen“, steht auf dem haushohen Plakat, das im alten Hafen der Mittelmeerstadt Bizerte offenbar jeden Zweifel an dem Übergangspräsidenten Moncef Marzouki zerstreuen soll. Eine Autostunde von Tunis entfernt leben hier 160 000 Menschen – vom Tourismus, von der Fischerei und von der Schifffahrt. In Publikum stehen viele verschleierte Frauen, mehr als bei allen anderen Kandidaten. Denn der couragierte Menschenrechtler Marzouki gilt als inoffizieller Favorit der Muslimbruderschaft Ennahda, auch wenn deren Führung keine öffentliche Wahlempfehlung abgegeben hat.

Übergangspräsident Moncef Marzouki sieht die Wahlen in Tunesien als Signal für die ganze Welt. Foto: dpa

Auf Fotos wirkt der 69-Jährige, nach Umfragen Hauptrivale des Uraltpolitikers Essebsi, eher steif und verklemmt. Jamila Hassine hat ihn von ihrem Medizinstudium im südtunesischen Sousse als superkorrekten Professor in Erinnerung, der ansonsten wenig Kontakt mit den Studenten hatte. Heute arbeitet sie als Ärztin im Krankenhaus in Bizerte und ist ganz stolz, wie ihr einstiger Lehrer als Staatschef die Menschen mitzureißen versteht.

Das Rednerpult vor der Hafenkulisse lässt Marzouki links liegen, stattdessen läuft er wie elektrisiert vorne auf dem Podest auf und ab. „Sonntag ist ein historischer Tag für Tunesiens Demokratie – nach fünfzig Jahren Diktatur darf es kein Zurück geben zum alten System“, ruft er der Menge zu. Die Wahlen seien nicht nur ein Signal für Tunesien, sondern für die gesamte arabische Welt. „Der Arabische Frühling wurde in Tunesien geboren – er darf nicht in Tunesien begraben werden“, mahnt er, bevor ihm seine Bewacher den Weg zurück zu seinem Dienst-Mercedes frei boxen.