Der Prenzlauer Berg ist angepasster und brav geworden. Die Verantwortlichen für die Misere sollen zugezogene Baden-Württemberger sein.

Berlin - Er sitzt am Eingang, tippt auf seinem Handy. Rustikale Holzstühle, die Theke aus Eiche, Hirschgeweihe an der Wand. Aus der Zapfsäule fließt Bier vom Ländle. Die Schwarzwaldstuben sind für Markus Angermeier zweihundert Quadratmeter Heimat. Die reichen ihm, mehr Schwabenland braucht er nicht. Vor elf Jahren tauschte er die ihn erdrückende Kleinstadt bei Pforzheim gegen Berlin. Keine Kehrwoche, keiner, der die Gardine zur Seite schiebt, wenn man frühmorgens mal nach Hause torkelt. Markus Angermeier, 35, lebt im Prenzlauer Berg, hat in Berlin noch nie woanders gewohnt. Es ist einer der am dichtesten besiedelten Stadtteile.

Vor der Wende war es ein Arbeiterviertel, dann zogen Künstler, Alternative und Freigeister in die maroden Vorkriegsbauten. Alt und bezahlbar, Ölofen statt Zentralheizung. Keine spießigen Nachbarn, der perfekte Ort, um sich ungestört zu entfalten. Man war unter Gleichgesinnten, es gab nette Parks und keine sozialen Tragödien. Ein gutes Plätzchen. Das spricht sich schnell herum. "Für mich war von Anfang an klar, dass ich nur im Prenzlauer Berg wohnen möchte", sagt Markus Angermeier.

Doch das Viertel hat sich verändert. Heute schieben junge Mütter und Väter ihre Kinderwagen durch den Stadtteil, der zunehmend braver, gediegener und hausbackener wirkt. Kaum eine Straße, in der nicht Gerüste an den Altbaufassaden stehen, als ob Christo gleich vorbeischauen würde, um sie schön einzupacken und sie in ein paar Wochen wieder auszupacken, als wäre nichts gewesen. Wenn die Gerüste verschwinden und die Farbe an den Fassaden noch frisch ist, warten die Häuser auf neue Mieter, die sich die renovierten Wohnungen leisten können. Und die passen nicht mehr so richtig in das alte Bild.

Das Sinnbild der Spießigkeit


Zwischen einem Café und einem Outdoor-Laden in der Kastanienallee flattert eine tibetische Gebetsfahne, die an Frieden, Glück und Harmonie erinnern sollen. Doch die Botschaft scheint nicht für die Zugezogenen zu wehen. Die gut ausgebildeten Singles und Paare mit doppelten Einkommen stören den Frieden. Die Alteingesessenen haben den Gegner schon ausgemacht: es sind die Schwaben. Allein im vergangenen Jahr zogen 1200 Baden-Württemberger nach Berlin. Offenbar genug, um Alarm im Prenzlauer Berg zu schlagen und den Kiez gegen die Eindringlinge zu verteidigen.

Eines Morgens waren da plötzlich Plakate, auf denen stand: "Stuttgart-Sindelfingen: sechshundert Kilometer. Ostberlin wünscht gute Heimfahrt". Dann konnte man am Kollwitzplatz lesen: "Schwaben im Prenzlauer Berg: spießig, überwachungswütig in der Nachbarschaft und keinen Sinn für Berliner Kultur". "Wir sind ein Volk, ihr seid ein anderes", stand auf einigen Plakaten an der Kastanienallee. Als vor wenigen Wochen Protestler Transparente mit Aufschriften wie "Stoppt die Besetzung des P-Bergs durch Schwaben" durch die Straßen trugen, war Markus Angermeier mit seiner Tochter an einem See baden. Vor einigen Tagen hat er wieder eine neue Parole entdeckt: Jemand sprühte "Schwaben raus" auf einen Baucontainer in der Schwedter Straße. Keiner wisse genau, wer hinter diesen Aktionen steckt, sagt Angermeier und trinkt einen Schluck von seinem Spezi.

Er nimmt die Angriffe nicht persönlich. "Es geht auch gar nicht um die Schwaben", meint er gelassen. Es gehe um die Neuen, die Gutverdiener, die Stadtteile wie den Prenzlauer Berg bevorzugten. Der Schwabe sei nur das "fassbare Feinbild". Das Sinnbild der Spießigkeit. Zumindest die Zahlen geben ihm recht: denn unter den Neubürgern sind weit mehr Sachsen oder Niedersachsen als Schwaben. Die Neuen zahlen immer pünktlich ihre Miete, haben feste Jobs, sind ruhig und ordentlich, machen wenig Lärm, kündigen im Treppenhaus die Geburtstagsparty an und entschuldigen sich am nächsten Tag, wenn es am Vorabend mal etwas lauter geworden ist.

Vor allem Skandinavier lassen sich im Prenzlauer Berg nieder


Angermeier arbeitet als Webdesigner, davor war er bei einer Agentur beschäftigt. "Agentur- und Medienfuzzis versauen den Prenzlauer Berg", schreibt ein selbst ernannter Schwabenhasser in seinem Berlin-Blog. Solche Leute seien schuld, dass alles teurer werde, sich nun allerorts Edelbiomärkte breitmachten, die Secondhandläden verschwänden und dafür zahlreiche Designerboutiquen eröffneten.

"Völliger Quatsch", sagt Angermeier. "Der Prenzlauer Berg verändert sich, aber das ist nicht nur schlecht." Viele der Altbauten seien baufällig gewesen, "sie mussten dringend renoviert werden". Doch sobald die Gerüste vor den Hausfassaden stehen, verändert sich die vertraute Straße, und die Angst steigt, dass bald das eigene Haus mit der Renovierung und der folgenden Mieterhöhung dran ist. Angermeier sagt, er wisse nicht genau, wie viel Miete er zahlt. "So um die 1000 Euro." Er wohnt auf 120 Quadratmetern an der Grenze zu Pankow.

Der Protest gegen die Schwaben sei eine Sache, "doch die schicken, renovierten Altbauten kaufen nicht wir, sondern Ausländer, für die Berlin günstig ist". Vor allem Skandinavier - Dänen und Schweden - lassen sich im Prenzlauer Berg nieder. Kaufen entspricht eher der nordischen Mentalität als mieten. Die Ausländer kommen aus den gleichen Gründen wie Angermeier damals. Sie wollen in eine Stadt, die alles andere als langweilig ist, aber nicht so sündhaft teuer wie London, Stockholm oder New York.

Angermeier kennt Berlin eigentlich gar nicht


In Berlin-Mitte an der Torstraße ist Angermeiers Büro, ein schicker Altbau an einer der meistbefahrenen Straßen der Stadt. Zwei Häuser weiter hat jetzt ein nobler Sportbekleidungsgeschäft eröffnet. Mit großen Fensterfronten, drinnen rustikale Backsteinwände. "Eine Daunenjacke kostet da sechshundert Euro. Wenn so teure Geschäfte jetzt auch im Prenzlauer Berg einziehen, macht man sich schon Gedanken, wie lange es noch dauert, bis die Mieten unbezahlbar werden." So gesehen kann Angermeier die Proteste verstehen.

Und doch wurmt es ihn ein bisschen, wenn er die "Schwabenraus"-Sprüche lesen muss und er in seinem Revier jetzt als Inbegriff des Spießertums dasteht. Schließlich wollte er in Berlin doch gerade dem kleinbürgerlichen Muff seiner schwäbischen Heimat entfliehen. "Ich bin nach Berlin gekommen, weil man sich hier nicht anpassen muss wie zu Hause in der Kleinstadt. Ich kann rückwärts die Straße entlanglaufen, das interessiert niemanden." Neulich sei ein Typ im Supermarkt als Alien verkleidet an der Kasse gestanden. "Die Kassiererin blickte nicht mal auf", sagt Angermeier. Das ist für ihn Berlin. Nicht die Masse an Kinderwagen, die inzwischen den Kollwitzplatz erobert hat.

Dabei hat er selbst eine Tochter. Seitdem er Vater ist, sehe er manche Dinge mit anderen Augen, vielleicht sogar etwas spießiger, sagt Angermeier. Die vielen Scherben im Mauerpark zum Beispiel, die nerven ihn. "Irgendwie prägt einen die Mentalität schon, mit der man aufgewachsen ist. Ich habe aber keine Minderwertigkeitsgefühle, weil ich Schwabe bin", sagt Angermeier, tippt dann wieder auf seinem Handy. Trinkt das Spezi aus, das beste in der Stadt, wie er sagt, und bestellt die Rechnung.

Die Zahlen auf seinem Konto sind meistens schwarz, er verdient ganz gut und hat sich in den letzten zehn Jahren in Berlin eine gesicherte Existenz aufgebaut. Angermeier ist ein ruhiger Mensch, einer, der nicht die Gemeinschaft sucht, der seit zehn Jahren die gleiche S-Bahn nimmt, der sich auf dem Spielplatz nicht um neue Bekanntschaften bemüht. Eigentlich, sagt er, kenne er Berlin gar nicht. Ein echter Schwabe.