Europäische Zeitungen berichten in ihren Kommentar zum Diesel-Gipfel vom Erreichen eines Minimal-Zieles – und sie sehen die deutschen Politiker in einem Dilemma.

Stuttgart - In der internationalen Presse findet der Diesel-Gipfel von Berlin nur wenig Anklang. Aber die Zeitungen und Sender, die sich kommentierend äußern, erheben eher Fragezeichen, was die beschlossenen Maßnahmen anbelangt.

 

Die Zeitung „De Tijd“ aus Belgien schreibt von einer „delikaten Angelegenheit“.

„Zwei Monate vor der Bundestagswahl war das Gespräch zwischen Autobauern und Staat eine delikate Angelegenheit. In der öffentlichen Meinung haben die Hersteller stark an Glaubwürdigkeit verloren durch den nicht nachlassenden Strom von Skandalen, von der Schummelei mit der Software bis zu (dem Verdacht illegaler) Kartellabsprachen. Andererseits bieten sie vielen Deutschen Arbeitsplätze und die Autobranche ist ein Stützpfeiler des wirtschaftlichen Erfolgs.

Um solche politisch unbequemen Debatten aus dem Wahlkampf rauszuhalten, war es geschickt, jetzt den Dieselgipfel zu organisieren. Allerdings bezweifeln Experten, dass mit einer neuen Software das Problem des Schadstoffausstoßes von Dieselmotoren gelöst wird. Die Frage ist, ob der Diesel überhaupt noch eine Zukunft hat.“

Die Neue Züricher Zeitung (NZZ) in der Schweiz kommentiert: Vertrauen nicht zurückgewonnen: „Die Autoindustrie ist nicht die erste Branche, die miterlebt, dass eine langjährig gehegte und tolerierte Praxis, die vielleicht noch an der Grenze der Legalität war, plötzlich als illegitim angesehen wird. Banken können ebenfalls ein Lied davon singen. (...) Je strenger die Vorgaben sind, desto höher werden die Kosten, um diese zu erreichen, oder die Anreize, sie zu umgehen. Stark steigende Produktions- und/oder Umrüstungskosten beeinträchtigen kurzfristig die Wettbewerbs- und damit die Zukunftsfähigkeit der Konzerne und dürften mittelfristig ohnehin auf die Kunden abgewälzt werden.

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Deshalb sollten sich alle Parteien bewusst sein, dass nicht nur der größtmögliche Schutz von Gesundheit und Umwelt im Fokus stehen darf, sondern dass es immer um eine Güterabwägung geht, bei der ein Optimum aus gutem Gesundheits- und Umweltschutz, vernünftigen betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und realistischen Vorgaben für Grenzwerte anzustreben ist. Dieses Optimum ist beim Berliner Diesel-Theater noch nicht erreicht worden: Autokonzerne und Politik hätten mehr leisten können, um Vertrauen zurückzugewinnen.“

Die Zeitung „Le Figaro“ aus Frankreich berichtet von eine „Bedrohung deutscher Marken“: „Das Siegel ‚deutsche Qualität’ beginnt unter den Skandalen zu leiden. Erst die getürkten Motoren, um den Schadstoffausstoß zu begrenzen, dann der Verdacht eines Kartells zwischen den großen Autobauern - es kommt viel zusammen. Es geht sogar so weit, dass in Deutschland, wie in anderen Ländern, die Gefahr eines kompletten Dieselverbots wächst, eine echte Bedrohung für die großen deutschen Marken (...). Lügen sind ein langsames Gift. In einer hohen Dosis untergraben sie selbst das Vertrauen der treuesten Kunden und überstrapazieren die Geduld der Politik. Indem sie mit dem Feuer spielten, sind die deutschen Auto-Champions an diesem Punkt angekommen. Und es ist nicht ausgemacht, dass ihre letzten Versprechen, denen schon so viele vorausgegangen sind, ausreichen, die Anti-Diesel-Flutwelle zu stoppen.“

In der Schweiz schreibt der „Tages-Anzeiger“ aus Zürich von der Erreichung eines „Minimalziels“: „Dennoch hat die Politik mit den Software-Nachbesserungen vorerst nur ein Minimalziel erreicht. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte vor dem Gipfel gesagt, Software-Updates seien nur ein erster Schritt. In einem zweiten Schritt müsse es weitere Angebote der Autokonzerne zur Umrüstung geben. Ob und in welchem Umfang über die Updates hinaus auch Abgasreinigungssysteme nachgerüstet werden müssen, soll nun eine Arbeitsgruppe ermitteln. Die Industrie wehrte sich im Vorfeld des Treffens lautstark gegen den Einbau technischer Abgasreinigungssysteme. Dies wäre - bei Millionen betroffener Fahrzeuge - mit erheblichen Kosten verbunden.“

Der Korrespondent Jenny Hill vom Sender BBC in Großbritannien berichtet aus Berlin: „Die Luftverschmutzung liegt in vielen deutschen Städten über den Grenzwerten. Das bereitet der mächtigen Autoindustrie un den deutschen Politikern vor der Bundestagswahl am 24. September einige Kopfschmerzen. Aber Deutschland wird sich vermutlich nicht in absehbarer Zeit zum Ende des Verbrennungsmotors verpflichten, was Großbritannien und Frankreich schon von 2040 an wollen. Der Umstieg auf Elektroautos ist teuer, nicht nur, weil überall Ladestationen aufgebaut werden müssen.