Die Bundesregierung vergibt immer mehr Straßenabschnitte an Banken und Baukonzerne. Die Kritik daran wächst.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Immer mehr Abschnitte des deutschen Fernstraßennetzes werden von Bau- und Finanzkonzernen ausgebaut und bis zu 30 Jahre lang betrieben. Die Verträge zu diesen öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) sind undurchsichtig und geheim. Kritiker und Rechnungshöfe warnen seit Jahren, dass die Privatisierung auf Zeit am Ende für den Steuerzahler teurer wird und große Risiken birgt. Trotzdem hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) zehn weitere Projekte im Umfang von bis zu 14 Milliarden Euro gestartet, darunter der in jede Richtung dreispurige Ausbau der A6 im Südwesten zwischen Weinsberg und Feuchtwangen.

 

Die Pläne auf Bundesebene reichen aber noch viel weiter. Zu den Vorschlägen einer von Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) beauftragten Expertenkommission gehört auch die Gründung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft (VIG), die künftig das fast 13 000 Kilometer lange Autobahnnetz und später auch die 40 000 Kilometer Bundesstraßen betreiben könnte. Diese private „Autobahn AG“ soll sich aus der Lkw- und künftigen Pkw-Maut, Krediten und privatem Kapital finanzieren. Dafür wären aber Änderungen des Grundgesetzes nötig, unter anderem, weil bisher laut Verfassung die Bundesländer mit ihren Behörden im Auftrag des Bundes dessen Fernstraßen verwalten.

Gegen die Privatisierungen formiert sich auf Länderebene parteiübergreifend Widerstand. Die Verkehrsminister von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, Winfried Hermann (Grüne) und Michael Groschek (SPD), lehnen in einem gemeinsamen Strategiepapier die ÖPP-Modelle und private Fonds von Banken und Versicherern zur Finanzierung öffentlicher Infrastruktur ab. „Diese Form der Staatsverschuldung kommt den Steuerzahler am Ende erheblich teurer als eine öffentliche Finanzierung, weil zusätzliche Renditen und Zinsen für private Anleger zu bezahlen sind“, heißt es in dem Papier, das der Stuttgarter Zeitung vorliegt. Die beiden Politiker warnen zudem vor einer „Monsterbürokratie“, die durch den Aufbau eines zentralen Straßenbaubetriebs durch den Bund entstünde. Die bisherige föderale Struktur und Kompetenzverteilung sei im Grundsatz richtig. Man brauche zwar Effizienzsteigerungen, aber keine Abschaffung der im Grundgesetz verankerten Auftragsverwaltung durch die Bundesländer. Auch eine neue Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern sei vorstellbar. So könnten Straßen- und Schienenwege von regionaler Bedeutung den Ländern übergeben werden, allerdings nur, wenn deren weitere Finanzierung durch den Bund gesichert sei.

„Falsche Politik und teure Großprojekte“

Die Minister kritisieren, dass die Verkehrsinfrastruktur in den vergangenen Jahrzehnten besonders in Westdeutschland vernachlässigt worden sei. Mehr als 100 Milliarden Euro seien in den nächsten 15 Jahren zusätzlich nötig, um den Sanierungsstau abzubauen. Ursache der Misere sei eine „falsche Politik, die zu lange auf teure Großprojekte, mehrfach überbuchte und nicht priorisierte Projektlisten für Bundesverkehrswege sowie auf zu hohe Standards setzte, ohne deren Nutzen sorgfältig auch volkswirtschaftlich zu prüfen“.

Zur Vernachlässigung der Infrastruktur haben nach Ansicht der beiden Experten nicht fehlendes privates Kapital, sondern falsche politische Weichenstellungen und wenig effiziente Strukturen geführt. So verursache die „auf Haushaltsjahre zerstückelte Finanzierung und Planung“ einen teuren „Straßenabschnittsabbau“ und Projektlaufzeiten, die über eine Generation dauern könnten. Deshalb seien Reformen sowie mehr Geld auf allen Ebenen für Schiene, Straßen und Wasserwege nötig. Eine entsprechende Agenda hätten die Länder dem Bund im Herbst 2013 vorgelegt, die große Koalition habe aber viele Vorschläge ignoriert oder nur einseitig adaptiert.

Die beiden Minister erkennen zwar an, dass mit dem Nachtragshaushalt des Bundes mehr Geld in den Verkehrsetat fließt, aber der „Zahlenzauber“ von Dobrindt blende die düstere Realität aus. Geradezu absurd sei es angesichts knapper Mittel, mit der Reform der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur auch die Anlageprobleme von Kapitalanlegern lösen und lukrative Anlagemöglichkeiten schaffen zu wollen. „Wir halten die Finanzierung von Infrastruktur nach wie vor für eine öffentliche, das heißt staatlich zu lösende Aufgabe“, so die Minister. Verkehrswege sollten weiter aus Steuern und Nutzungsentgelten finanziert werden. Ergänzt werden könne das durch öffentlich aufgelegte Fonds. Teilprivatisierungen und private Fonds von Banken und Versicherern seien dagegen eine „Schattenverschuldung“ und führten dazu, dass die Zuständigkeiten für Straßen „in verschiedenste Projektgesellschaften und ÖPP-Teilabschnitte zerstückelt“ würden.

„Eine gute öffentlich finanzierte und für jeden zugängliche Infrastruktur war lange Zeit Grundlage unseres Wohlstandes“, betonen Hermann und Groschek. Als Daseinsvorsorge für Stadt und Land habe die öffentliche Finanzierung für gleiche und gerechte Lebensverhältnisse in Deutschland gesorgt. Bei einer Verkehrspolitik, die sich künftig verstärkt nach „privatem Renditekalkül“ richten würde, sehen die Politiker diese Erfolge gefährdet.