Unser Redakteur Jochen Klingovsky meint:

Natürlich hat der Bundestrainer das Glück, über herausragende Offensivkräfte zu verfügen. Thomas Müller, Mesut Özil, Toni Kroos oder Mario Gomez sind in der Lage, jeder Abwehr Kopfzerbrechen zu bereiten. Aber um Titel zu holen, benötigt es mehr als torgefährliche Angreifer. Es braucht vor allem eine stabile Defensive. Und natürlich das passende taktische Konzept. So wie gegen Italien.

Die Squadra Azzurra hatte bei ihren EM-Erfolgen gegen die Fußball-Größen Spanien und Belgien nach einem einfachen Schema gespielt: alle Bälle zu Pellè. Der Stürmer hielt die Kugel und setzte seine Kollegen perfekt ein. Gegen Deutschland kamen die Italiener nur zu einer Großchance und hätten ohne den Hand-Aussetzer von Jérôme Boateng im Strafraum wohl noch Stunden spielen können, ohne das Tor von Manuel Neuer zu gefährden. Warum? Weil die Dreierkette mit Hummels, Boateng und Höwedes nicht nur die Lufthoheit hatte, sondern auch Pellè komplett aus dem Spiel nahm. Und dem Gegner damit seine größte Stärke.

Joachim Löw erlebt sein fünftes großes Turnier als Bundestrainer, immer erreichte er das Halbfinale – auch deshalb, weil er es perfekt versteht, sein Team auf die nächste Aufgabe vorzubereiten. Ein Weltmeister, der auf die Qualität des Gegners reagiert? Ist natürlich keine Schwäche, sondern ein Zeichen taktischer Stärke – und von Mut, wenn es in den Spielen zuvor mit einem anderen System gut gelaufen war. Löw hat das strategische Geschick und das passende Personal, um seinen Stil zu pflegen, auch wenn nicht allen Fans gefallen hat, dass ihm eine stabile Defensive gegen Italien wichtiger war als ein Offensivspektakel. Letztlich gilt trotz des Glücks, das die Deutschen im Elfmeterschießen hatten: Die Taktik, die zum Sieg führt, kann so falsch nicht gewesen sein.

Über Joachim Löws Taktik gehen aber auch in unserer Redaktion die Meinungen auseinander. Ein Pro und Kontra.

Löw hat Recht

Unser Redakteur Jochen Klingovsky meint:

Natürlich hat der Bundestrainer das Glück, über herausragende Offensivkräfte zu verfügen. Thomas Müller, Mesut Özil, Toni Kroos oder Mario Gomez sind in der Lage, jeder Abwehr Kopfzerbrechen zu bereiten. Aber um Titel zu holen, benötigt es mehr als torgefährliche Angreifer. Es braucht vor allem eine stabile Defensive. Und natürlich das passende taktische Konzept. So wie gegen Italien.

Die Squadra Azzurra hatte bei ihren EM-Erfolgen gegen die Fußball-Größen Spanien und Belgien nach einem einfachen Schema gespielt: alle Bälle zu Pellè. Der Stürmer hielt die Kugel und setzte seine Kollegen perfekt ein. Gegen Deutschland kamen die Italiener nur zu einer Großchance und hätten ohne den Hand-Aussetzer von Jérôme Boateng im Strafraum wohl noch Stunden spielen können, ohne das Tor von Manuel Neuer zu gefährden. Warum? Weil die Dreierkette mit Hummels, Boateng und Höwedes nicht nur die Lufthoheit hatte, sondern auch Pellè komplett aus dem Spiel nahm. Und dem Gegner damit seine größte Stärke.

Joachim Löw erlebt sein fünftes großes Turnier als Bundestrainer, immer erreichte er das Halbfinale – auch deshalb, weil er es perfekt versteht, sein Team auf die nächste Aufgabe vorzubereiten. Ein Weltmeister, der auf die Qualität des Gegners reagiert? Ist natürlich keine Schwäche, sondern ein Zeichen taktischer Stärke – und von Mut, wenn es in den Spielen zuvor mit einem anderen System gut gelaufen war. Löw hat das strategische Geschick und das passende Personal, um seinen Stil zu pflegen, auch wenn nicht allen Fans gefallen hat, dass ihm eine stabile Defensive gegen Italien wichtiger war als ein Offensivspektakel. Letztlich gilt trotz des Glücks, das die Deutschen im Elfmeterschießen hatten: Die Taktik, die zum Sieg führt, kann so falsch nicht gewesen sein.

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Löw hat Unrecht

Unser Redakteur Heiko Hinrichsen meint:

Eine zünftige Dosis bayerischen Mia-san-Mia-Gefühls dürfte auch dem Südbadener Joachim Löw für den weiteren Verlauf des EM-Turniers nur guttun. Verfügt der Bundestrainer doch mit seiner hochwertigen Müller-Özil-Götze-Gomez-Draxler-Sané-Podolski-Angriffsselektion über eine derart geballte Offensivpower, die auf dem europäischen Fußballkontinent unerreicht ist.

Mit diesen Edelfüßen Made in Germany lässt sich jedem Gegner der eigene Stil aufzwängen. Der Bundestrainer aber zeigte sich offenbar leicht Italien-traumatisiert – und stellte mutlos hinten auf eine Dreierkette um, die er im Rückwärtsgang durch Joshua Kimmich und Jonas Hector noch zu einem Fünferriegel erweitern ließ. Das war trotz der italienischen Doppelspitze Pellè/Eder ein gleichsam hasenfüßiger wie gefährlicher Schachzug, denn die Balance des eigenen Teams geriet damit ins Wanken.

Im EM-Verlauf war die DFB-Elf ja immer besser ins Rollen gekommen, gegen Nordirland und die Slowakei hatte mit Torchancen am Fließband ein Rädchen ins andere gegriffen. Gegen Italien war plötzlich Sand im Getriebe, denn die verunsicherten Spieler mussten die neuen Abläufe erst verinnerlichen. Durch die so gedrosselte Offensive reichte es trotz optischer Dominanz nach 120 Minuten nur zu einem Tor.

Das war unnötig. Ein personell so gut bestückter Weltmeister darf seinen Offensivjoker nicht freiwillig aus der Hand legen, sondern muss seinen Stil selbstbewusst durchziehen. Sich taktisch anzupassen, das ging bereits 2008 (EM-Finale) und 2010 (WM-Halbfinale) gegen Spanien ziemlich und im Euro-Semifinale von 2012 beim 1:2 gegen die Squadra Azzurra kolossal schief.

Diesmal hatte Löw Glück: denn in der Elfmeter-Lotterie von Bordeaux wurde immerhin der richtige Sieger gezogen.