Reise: Annette Schwesig (apf)

Darf man Kinderbücher sprachlich überarbeiten, oder soll man Kindern das Original zumuten? Die meisten Literaturwissenschaftler, Fachleute, Pädagogen und mittlerweile auch Eltern sind der Meinung, dass sprachliche Änderungen einen schwerwiegenden Eingriff in das Werk und die Autonomie des Autors darstellen und dass man diese deshalb vermeiden sollte. Eines der am häufigsten vorgebrachten Argumente in der Diskussion: Klassiker wie Goethe würde man ja auch nicht so einfach sprachlich glätten und modernisieren. Wer einen veralteten Ausdruck nicht kenne, dem stehe ja ein Anmerkungsapparat zur Verfügung, wo man nachschlagen und sich schlau machen könne. Bei Kinderliteratur soll es das aufklärende Gespräch mit den Eltern sein. So weit die gut gemeinte Absicht. Die Realität sieht anders aus.

 

Schon erwachsenen Lesern fällt das Hin- und Hergehen zwischen Text und Fußnote schwer. Diese Art der Aneignung mag dem professionellen Leser nützen, dem Leser aus Leidenschaft aber ist dies eine Unterbrechung des Leseflusses. Wie sehr gilt das erst für den kindlichen Leser! Wer einmal Kindern vorgelesen hat, der weiß, dass Kinder ganz und gar in eine Geschichte eintauchen, dass sie mitzittern, mitlachen. Und da soll man dann, wenn Lukas, der Lokomotivführer, und Frau Waas das Paket aufmachen und der „kleine Neger“ herauskommt, unterbrechen, das Buch beiseitelegen und ein Referat über Rassismus beginnen? Kurz vor dem Einschlafen? Was für eine Idee, entworfen von Theoretikern, die noch nie mit Kindern unter einer Bettdecke lagen und mit ihnen Michael Ende oder Otfried Preußler verschlungen haben! Das Kind, das vorgelesen bekommt, will in dem Moment nur wissen, wie es weitergeht.

In der Debatte wird so getan, als ob Kinderliteratur dasselbe sei wie Literatur für Erwachsene. Das ist sie aber nicht, und man nimmt sie und die Autoren deswegen nicht weniger ernst, wenn man dies feststellt. Denn Kinder lesen anders als Erwachsene: Handlung, Spannung, Charaktere sind wichtiger als Sprache, deshalb sollte man keine Scheu haben vor vorsichtigen sprachlichen Korrekturen. Eigentlich geht es doch in der Debatte nicht nur um Rassismus und „political correctness“, sondern um die Frage, wie lange Kinderbuchklassiker „haltbar“ sind und was man tun muss, damit sie für die nächste Generation verständlich und interessant bleiben. Kleine Korrekturen, damit Kinder nicht viel zu schnell aus einem Buch aussteigen, nur weil merkwürdige Formulierungen drin vorkommen, sollten erlaubt sein, damit aus kleinen Bücherfressern große Bücherfreunde werden können.