Reise: Annette Schwesig (apf)

Das klingt alles so zwingend. Kinderliteratur ist Literatur für Kinder, daraus folgt dreierlei: Erstens muss sie hundertprozentig benutzbar sein, deshalb ist Anpassung an ihren Zweck eine Notwendigkeit. Zweitens muss sie unmittelbar verständlich sein, sprich, sie darf den kleinen Lesern keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Und drittens steht sie im Dienst der Charakter-, Persönlichkeits- und Meinungsbildung.

 

Man kann das so sehen. Das Einzige, was dabei stört, ist der Begriff „Literatur“. Zu diesem Begriff – wie zu jedem Begriff von Kunst – gehört unter anderem Freiheit. Die Freiheit von Zwecken, die Freiheit, Rätsel aufzugeben, die Freiheit zu verstören und aus guten Gründen gehegte Haltungen und Vorstellungen zu erschüttern. Wenn diejenigen, die sich um das seelische Wohl von Kindern sorgen, diese Sorge als Lizenz zum Umschreiben, Anpassen, Tilgen, Glätten, Nutzbarmachen verstehen, sind sie sicherlich von guten Absichten getrieben. Aber es könnte sein, dass sie ihre Schutzbefohlenen auch ein bisschen berauben.

Um das Vergnügen nämlich, welches das Lesen von Literatur bedeuten kann – gerade, wenn sie nicht passgenau auf Vorwissen, Überzeugungen und Geschmack ihrer Leser hin entstanden ist, wenn sie nicht auf eine „Zielgruppe“ reagiert. Ja, es kann auch einmal ganz nett sein, ein Buch ohne weitere Anstrengung zu konsumieren. Aber wie oft macht man hinterher die Entdeckung, dass das Schönste daran dann doch die Nüsse waren, die es einem zu knacken gegeben hat, dass es genau diese nicht in den Griff zu kriegenden Stellen oder Eigenschaften waren, die einem im Gedächtnis bleiben?

Vielen Erwachsenen haben verfehlte Schullektüren die Freude am Lesen und an der Literatur ausgetrieben. Im Unterschied zu diesen Bedauernswerten haben Kinder neiderregend viel Spaß am Sinn- und Zwecklosen, vom Kitzel der Herausforderung, etwas zu lesen, was man „noch nicht“ versteht oder was erkennbar von der moralischen Norm abweicht, zu schweigen.

Fragen zu beantworten, Verständnishilfe zu geben, Orientierung zu vermitteln, ist die Aufgabe von Eltern und anderen, denen Kinder anvertraut sind. Kinderliteratur spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle, aber ihr Wert erschöpft sich darin nicht. Wenn man den Wunsch, ein Buch von allem pädagogisch eventuell Schädlichen zu befreien, weiterentwickelt, landet man bei der Frage, wann man damit aufhören soll: bei Büchern für 10-, 15-, 20-Jährige? Wann wären wir denn so weit, dass ein Buch uns nichts mehr anhaben könnte? – Bedenkt man es recht, kann man eigentlich nur sagen: hoffentlich niemals.

Kontra: Das Sinn- und Zwecklose

Das klingt alles so zwingend. Kinderliteratur ist Literatur für Kinder, daraus folgt dreierlei: Erstens muss sie hundertprozentig benutzbar sein, deshalb ist Anpassung an ihren Zweck eine Notwendigkeit. Zweitens muss sie unmittelbar verständlich sein, sprich, sie darf den kleinen Lesern keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Und drittens steht sie im Dienst der Charakter-, Persönlichkeits- und Meinungsbildung.

Man kann das so sehen. Das Einzige, was dabei stört, ist der Begriff „Literatur“. Zu diesem Begriff – wie zu jedem Begriff von Kunst – gehört unter anderem Freiheit. Die Freiheit von Zwecken, die Freiheit, Rätsel aufzugeben, die Freiheit zu verstören und aus guten Gründen gehegte Haltungen und Vorstellungen zu erschüttern. Wenn diejenigen, die sich um das seelische Wohl von Kindern sorgen, diese Sorge als Lizenz zum Umschreiben, Anpassen, Tilgen, Glätten, Nutzbarmachen verstehen, sind sie sicherlich von guten Absichten getrieben. Aber es könnte sein, dass sie ihre Schutzbefohlenen auch ein bisschen berauben.

Um das Vergnügen nämlich, welches das Lesen von Literatur bedeuten kann – gerade, wenn sie nicht passgenau auf Vorwissen, Überzeugungen und Geschmack ihrer Leser hin entstanden ist, wenn sie nicht auf eine „Zielgruppe“ reagiert. Ja, es kann auch einmal ganz nett sein, ein Buch ohne weitere Anstrengung zu konsumieren. Aber wie oft macht man hinterher die Entdeckung, dass das Schönste daran dann doch die Nüsse waren, die es einem zu knacken gegeben hat, dass es genau diese nicht in den Griff zu kriegenden Stellen oder Eigenschaften waren, die einem im Gedächtnis bleiben?

Vielen Erwachsenen haben verfehlte Schullektüren die Freude am Lesen und an der Literatur ausgetrieben. Im Unterschied zu diesen Bedauernswerten haben Kinder neiderregend viel Spaß am Sinn- und Zwecklosen, vom Kitzel der Herausforderung, etwas zu lesen, was man „noch nicht“ versteht oder was erkennbar von der moralischen Norm abweicht, zu schweigen.

Fragen zu beantworten, Verständnishilfe zu geben, Orientierung zu vermitteln, ist die Aufgabe von Eltern und anderen, denen Kinder anvertraut sind. Kinderliteratur spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle, aber ihr Wert erschöpft sich darin nicht. Wenn man den Wunsch, ein Buch von allem pädagogisch eventuell Schädlichen zu befreien, weiterentwickelt, landet man bei der Frage, wann man damit aufhören soll: bei Büchern für 10-, 15-, 20-Jährige? Wann wären wir denn so weit, dass ein Buch uns nichts mehr anhaben könnte? – Bedenkt man es recht, kann man eigentlich nur sagen: hoffentlich niemals.