Kultur: Adrienne Braun (adr)

Irgendwann wird niemand mehr da sein, den man beschenken kann. Also, nutzen wir die Gelegenheit, sagt Adrienne Braun.

 

„Hätte ich vor zwanzig Jahren über den Muttertag schreiben sollen, hätte das erste Wort des Artikels gelautet: Nazifeiertag. Das ist zwar nicht ganz korrekt, denn schon im antiken Griechenland pflegte man einen besonderen Mutterkult, und 1914 wurde der zweite Maisonntag zum US-Feiertag erhoben. Aber es passte in den damaligen Zeitgeist, Rituale per se abzulehnen. Schon gar nicht wollte man es den Nationalsozialisten gleichtun, die mit dem Tag die „Gebärerinnen erbgesunder, arischer Volksgenossen“ preisen wollten. Auch versuchten wir auf Biegen und Brechen, Gleichberechtigung zu exerzieren, deshalb sollten gefälligst auch die Mütter auf ihr albernes Privileg verzichten, ausgerechnet an diesem Tag Blumen zu bekommen.

Ist die jugendliche Protesthaltung aber erst einmal abgekühlt, kann man schon staunen, mit welchem Furor man einst diesen eher harmlosen Gedenktag verteufelte. War dieser Tag tatsächlich der richtige Anlass, um sich so vehement von der deutschen Geschichte zu distanzieren?

Wenn die Familie in der weiten Welt verstreut ist oder wenn man gar keine Mutter mehr hat, dann kann es gut sein, dass man plötzlich vor dem Blumenladen steht und sich wünscht, da wäre jemand, dem man jetzt ein Margeritenbäumchen schenken könnte oder eine Schachtel Pralinen vorbeibringen. Warum denn nicht einmal im Jahr daran denken, dass die Mutter einen auf die Welt gebracht und durchgefüttert hat? Ein bewusstes Dankeschön – denn es kann immer das letzte sein.“