Vertreter? Das waren früher lästige bis lächerliche Figuren. heute werden immer mehr hochwertige Produkte von Kundenberatern im heimischen Wohnzimmer verkauft. Die Branche ist im Aufwind.

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

Stuttgart - Gisela Strauß hebt zwei schwere Koffer aus dem Wagen, stapelt sie übereinander, hängt noch eine Tasche um und schiebt sich mit dem schweren Gepäck durch lange Flure zu ihrem Kunden. Das Firmenbüro ist schmucklos und groß, die Luft kühl und ein klein wenig staubig, der Boden gefliest. Kein Teppich, nicht einmal ein Abtreter. Böden sind entscheidend für ihre Arbeit, denn in den Koffern stecken ein Bodenstaubsauger, ein Saugwischer und ein Handstaubsauger. Alles von der Firma Vorwerk. Strauß ist Kundenberaterin für Kobold – die wohl bekannteste Staubsaugermarke im Land. Genauso entscheidend ist deshalb für sie der Blick ins Gesicht des Kunden: Das von François Costin ist freundlich, aber auch etwas skeptisch. Doch zum Glück ist der 64-Jährige vorbelastet: „Bisher habe ich nur mit Vorwerk-Staubsaugern gearbeitet“, sagt er.

 

„Ich mag die Bezeichnung Vertreter nicht“

Strauß ist eine von mehr als 2000 selbstständigen Vertriebspartnern von Kobold-Staubsaugern in Deutschland, im Volksmund auch Vertreter genannt. „Ich mag den Namen nicht“, sagt sie, „er klingt nach unangekündigten Hausbesuchen und einem Fuß in der Tür.“ Seit sieben Jahren ist die 55-Jährige in Gerlingen bei Stuttgart aktiv. Kundenberaterinnen wie sie ziehen schon lange nicht mehr von Tür zu Tür, sondern arbeiten nach Termin die Kundenlisten in ihren Bezirken ab. 2500 Haushalte mit Kobold-Staubsaugern in der 20 000-Einwohner-Stadt fasst die Liste bei ihr. Als Strauß vor sieben Jahren als Beraterin begann, ackerte sie Seite für Seite durch. Stellte sich als neue Kobold-Beraterin vor. Machte Termine aus. Zeigte ihr Serviceheft. Sagte ihren Kennenlernspruch auf. Zwei Jahre lang, dann war sie durch. „Anfangs habe ich mich überfordert gefühlt. Das Kundenvertrauen musste ich mir hart erarbeiten.“

Alle zwölf bis 18 Monate schaut sie inzwischen bei den Kunden vorbei, dann geht in der Regel der Vorrat an Staubsaugertüten zu Ende. Die Fleißarbeit lohnt sich, an manchen Tagen spielen die Ersatzartikel bis zu 150 Euro ein. Vor allem aber schaffen die häufigen Kontakte Sympathie. „Zwei von drei Kunden kaufen auch einen Staubsauger von mir. Meine Quote ist hoch.“ 18 Prozent Grundprovision erhält sie dann. Geben weniger als fünf Prozent der Kunden Waren wieder zurück, kommen fünf Prozent Provision obendrauf. Weil sie überdurchschnittlich viel Umsatz macht, erhält Strauß noch einige Prozent extra.

Die Zahl der Mitarbeiter im Direktvertrieb steigt

Im Direktmarketing, bei dem Produkte meist in den Wohnungen präsentiert werden, geht Strauß damit die harte Tour. Ihre Kolleginnen haben es leichter. Kundenberaterinnen für Thermomix oder Tupperware stellen in heimeliger Wohnzimmeratmosphäre die Produkte samt Häppchen, Sekt und etwas Klatsch vor. Fünf Kundinnen – meist sind es Frauen – schauen im Schnitt vorbei. Solche Verkaufspartys sind im Trend, branchenweit initiieren sie fast zwei Drittel der Bestellungen. Vor allem bei Küchengeräten, Sexartikeln und Kosmetik funktioniert das Gute-Laune-Konzept.

Auch deshalb ist die Zahl der Mitarbeiter im Direktvertrieb im vergangenen Jahr auf 840 000 gewachsen. Schon in einigen Jahren könnte sie die Millionengrenze erreichen, sagt Florian Kraus, Inhaber des Lehrstuhls für Vertrieb und Dienstleistungsmarketing der Uni Mannheim. Die Uni erstellt jährlich eine Studie über die Branche. So stieg im vergangenen Jahr der Umsatz um 8,9 Prozent auf 17,8 Milliarden Euro. Der Direktvertrieb sei eine „unterschätzte Branche“, betont Kraus. „Er setzt den Herausforderungen durch das Internet mehr entgegen als der Einzelhandel. Viele Verbraucher wollen das gemeinschaftliche Erlebnis.“

Der Kunde darf den Staubsauger ausprobieren

Das Erlebnis von Strauß sieht im Büro von Costin bislang so aus: Sie hat den Handstaubsauger präsentiert und die Raumluftfilterung erklärt. Dann reicht sie ihm den Bodenstaubsauger, er solle selbst mal ausprobieren. Costin fährt über eine Stelle, die nicht schmutzig erscheint. Strauß warnt Costin, dass jetzt mehr Schmutz auf dem Staubsaugertuch hafte, als er wohl erwarte, und Costin sagt, die Sache mit dem Tuch sei bestimmt ein Trick. Das Tuch ist schwarz. „Mit uns können sie ihre Wohnung tiefenreinigen. Vorwerk steht für eine hohe Qualität“, sagt Strauß. Die gebürtige Hessin schwäbelt jetzt. „Und für einen hohen Preis“, erwidert Costin. „Wenn ich es steril will, gehe ich ins Krankenhaus.“ Dann müssen beide lachen.

„Früher hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich einmal eine Kundenberaterin werden würde.“ Strauß sitzt während des Gesprächs in einem Bäckercafé in Gerlingen und zeigt auf einige freie Quadratmeter in einem Einkaufszentrum, wo sie regelmäßig einen kleinen Stand aufbaut. Man müsse dorthin, wo es potenzielle Kunden gebe, sagt sie: „Kundenlisten allein reichen nicht mehr. Der Vertrieb ist vielseitiger geworden.“

Dabei habe ihr Berufsleben ganz anders angefangen. Als Schreibkraft in einer Oberfinanzdirektion hat sie eine sichere Anstellung. Doch sie kündigt und fängt in einer Tankstelle als Kassiererin an. „Ich dachte, in der freien Marktwirtschaft könnte ich mehr verdienen und mit meinen beiden kleinen Kindern flexibler sein“, sagt sie. „Das war naiv.“ Strauß wird gekündigt und geht jahrelang zum Putzen, um Geld zu verdienen. Nebenher macht sie eine Ausbildung in Transaktionsanalyse – „den Weg zur Autonomie“, wie sie es nennt. „Ich war wenig konfliktfähig“, sagt sie. Daran hat sie gearbeitet. Dann kommt die Gelegenheit bei Vorwerk. Mit 48 Jahren wagt sie den Neuanfang.

Das schlechte Image der Branche ist überholt

Ihre Biografie entspreche vieler anderer im Direktmarketing, sagt Florian Kraus von der Uni Mannheim. „Ein Berater im Direktmarketing braucht keine formale Ausbildung. Das hat Charme für Menschen, die anderswo keine Chance haben.“ Doch das oft noch schlechte Image der Branche sei falsch. So starteten die meisten ihre Laufbahn, weil sie sich für die Produkte wie den Thermomix begeisterten. Die flexiblen Arbeitszeiten seien vor allem für Frauen mit Kindern interessant. Außerdem sei der Anteil von weiblichen Führungskräften besonders im Außendienst mit mehr als 80 Prozent sehr hoch. „Und der Verdienst erscheint nur niedrig, weil 83 Prozent der Berater im Nebenerwerb arbeiten.“

Knapp 20 Stunden die Woche sind es bei Strauß. 2500 bis 3000 Euro brutto im Monat verdient sie dabei im Schnitt. Das ist beachtlich, in anderen Bereichen verdienen Berater weniger. Doch Strauß’ Verdienst ist gefährdet, weil ein Konkurrent in ihrem eigenen Revier auftaucht. Ein Mann verkauft seit einigen Jahren Ersatzteile für die bekannte Staubsaugermarke, es sind alles Fremdprodukte. Das ist legal, doch Strauß muss seitdem noch mehr um das Kundenvertrauen werben und noch mehr Telefonate führen. „Neulich hat eine Kundin angerufen, die den Mann für einen offiziellen Kobold-Berater hielt“, sagt sie und zieht die Rechnung hervor: Filter, Mikrofilter und Rundbürsten – „alles überteuert“. Die Kundin, über 80 Jahre alt, wolle nichts mehr mit Vorwerk zu tun haben. „Den Staubsauger hat sie verkauft.“ Auch bei Vorwerk kennt man das Problem, das auch andere Berater in der Region Stuttgart betrifft. Juristisch könne man dagegen nicht vorgehen. „Viele Leute wollen am Erfolg einer Marke partizipieren. Es gibt viele Trittbrettfahrer“, heißt es in Vorwerks Geschäftsbereich Kobold. „Die Berater müssen ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen, um die Kunden zu halten. Konkurrenten können das zunichtemachen.“

Der Kunde bekommt Zeit zum Nachdenken

Bei François Costin ist der Mann noch nicht gewesen. Costin hat offensichtlich Gefallen an dem Bodenstaubsauger gefunden. Er brauche eine zusätzliche Düse, um hinter dem Wasserbett zu saugen, sagt er. Zu Hause habe er Laminat und Vinylboden, aber eigentlich sei er ein Teppichbodenfan. Strauß nennt freundlich und sachlich den Preis: das Set mit drei Motoren für 1012 Euro netto. Rund 250 Euro würde sie davon bekommen.

„Wie wollen wir es machen?“, fragt sie. „Lassen Sie mir einen Tag Zeit zum Nachdenken“, antwortet Costin, und Strauß packt den Bodenstaubsauger, Saugwischer und Handstaubsauger wieder ein.

Hier geht es zu unserer Multimedia-Reportage über den Thermomix.