Heute sind Doktoranden immer öfter in ein Ausbildungsprogramm eingebunden. Die Betreuung ist intensiver – aber lässt sie auch genügend Freiraum?  

Frankfurt/Stuttgart - Roland Schimmel versucht es mit Ironie. Wer in einer rechtswissenschaftlichen Arbeit aus fremden Texten abschreiben wolle, sollte prüfen, ob sie noch aktuell seien, empfiehlt er in einem Online-Leitfaden zum erfolgreichen Plagiieren. Die Bundespost und die Bundesbahn gebe es zum Beispiel nicht mehr, und auch die Gesetzeslage ändere sich von Zeit zu Zeit. Für Juristen sollte es selbstverständlich sein, Texte in dieser Weise zu prüfen, schreibt er, "die Plagiatspraxis deutet auf das Gegenteil hin".

 

Auch die übrigen Tipps, die der Wirtschaftsjurist von der Fachhochschule Frankfurt gibt, lesen sich so, als gäben sich viele Studenten und Doktoranden wenig Mühe damit, ihre Plagiate zu verbergen. Zum Beispiel warnt Schimmel ausdrücklich davor, Texte aus Österreich oder der Schweiz zu übernehmen, wenn es um das deutsche Recht gehe. Und als hätte er es geahnt, weist er darauf hin, dass Dissertationen für Plagiate ungeeignet seien: Sie "stehen auch noch Jahre und Jahrzehnte später in Bibliotheken".

Von diesem grundsätzlichen Punkt abgesehen hat sich Karl-Theodor zu Guttenberg in seiner Dissertation offenbar keine Blöße gegeben. Angesichts der "Intensität der inhaltlichen Auseinandersetzung" habe er keinen Verdacht geschöpft, schreibt sein Doktorvater Peter Häberle in einer Stellungnahme. Im Fokus der Diskussion unter Wissenschaftlern stehen nun aber nicht nur gründliche Kontrollen aller Seminar- und Doktorarbeiten, sondern auch die "Standards der Doktorandenbetreuung", teilt die Alexander-von-Humboldt-Stiftung mit, die den internationalen Austausch fördert. Ihr Präsident Helmut Schwarz stellt die Graduiertenschulen als Vorbild dar, die in der Exzellenzinitiative gefördert werden.

In der Graduiertenschule der Universität Stuttgart müssen die Doktoranden ein Ausbildungsprogramm durchlaufen. Am Anfang mache es etwa die Hälfte der Arbeitszeit aus, erläutert der Sprecher Engelbert Westkämper, am Ende stehe hingegen die Dissertation im Vordergrund. Rund 60 Doktoranden aus den Fächern Maschinenbau, Elektrotechnik, Informatik und Betriebswirtschaft arbeiten in der Graduiertenschule an neuen Verfahren industrieller Produktion. Sie besuchen dabei Kurse der jeweils anderen Disziplinen und ihres Spezialgebiets. "Wir haben gelernt, das Programm nicht zu verschulen", sagt Westkämper. Bei der Einführung neuer Regeln müsse man Augenmaß wahren. Die Doktoranden seien erwachsen und engagiert - sie dürften sich daher ihr Programm selbst zusammenstellen.

Expertin: Kolloquium des Doktorvaters reicht nicht aus

Zur Ausbildung gehört auch, dass die Doktoranden ihre Zwischenergebnisse immer wieder mit Professoren und Kommilitonen diskutieren müssen. Die Universität setzt dabei nicht nur auf die jeweiligen Gutachter der Arbeit, sondern hat ein interdisziplinäres Komitee eingerichtet, das die Forschung der Doktoranden überwachen soll. Eine solche Betreuung fordert auch Margret Wintermantel, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, in ihrem Sammelband "Promovieren heute" (Verlag der Körber-Stiftung). Sie spricht von einer "Mehr-Fach-Betreuung", also einer Aufsicht durch mehrere Professoren verschiedener Disziplinen.

Das Oberseminar oder Kolloquium des Doktorvaters reiche hingegen nicht aus, schreibt Wintermantel, weil es "zu selten, zu unverbindlich oder zu unstrukturiert angeboten" werde. Ein solches Oberseminar des Staatsrechtlers Peter Häberle hat auch zu Guttenberg besucht. In der Einleitung zu seiner Dissertation nennt er die Veranstaltung "legendär".

Der gute Ruf des emeritierten Doktorvaters leidet nun erheblich unter den Vorwürfen. In einer Online-Umfrage des Magazins "Spektrum der Wissenschaft", an der sich rund 2000 Akademiker und Wissenschaftler beteiligt haben, geben 73 Prozent Häberle und dem Kogutachter Rudolf Streinz von der Universität München eine Mitschuld am Skandal. In der Rangliste der "kritischsten" Personen in der Affäre kommen die Gutachter aber nur an dritter Stelle: nach Guttenberg selbst und der Kanzlerin Angela Merkel.

Auch die Deutsche Physikalische Gesellschaft will die Politik noch nicht aus der Pflicht nehmen. "Der Rücktritt reicht nicht", lautet der Titel einer Mitteilung, in der sie die Bundesregierung auffordert, "ein klares und eindeutiges Bekenntnis zu den Grundsätzen der Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis abzulegen".