In Ferguson werden die Nächte ruhiger. Besonnene Autoritäten wollen der Justiz zu ihrem Recht verhelfen. Die Demonstrationen nach dem Tod eines jungen Mannes durch eine Polizeikugel halten jedoch an.

Ferguson - Gary Hill hat übernommen, er verkörpert jetzt die Autorität. Jedenfalls gibt sich der Pfarrer alle Mühe, den Demonstrationszug zu lenken. Mit rudernden Armen, wie ein hyperaktiver Lotse, steht er im flackernden Licht einer Ampel, die für ein paar Stunden nur die Farbe Grün kennt. „Und jetzt wenden, Leute! Immer schön linksrum! Das ist es, gut macht ihr das, Leute! Ich bin stolz auf euch!“ Sonntags predigt der drahtige Geistliche in der Temple Church of Christ, einer afroamerikanischen Kirche in Ferguson. In dieser Nacht ist er der Friedenslotse, mit anfangs dröhnender, später erschöpft krächzender Stimme darauf bedacht, den Zorn in geordnete Bahnen zu lenken.

 

Wer in Amerika protestiert oder streikt, der marschiert im Kreis. In Ferguson ist es eher ein Oval, ein sehr lang gezogenes, von einer Ampelkreuzung zur nächsten und von dort wieder zurück. Und selbst ernannte „Peacekeeper“ wie Hill wollen dafür sorgen, dass keiner abweicht von der vorgeschriebenen Route, keiner irgendwas Beleidigendes ruft, dass keiner von den jungen Hitzköpfen verletzt, was besonnenere Köpfe mit der Polizei ausgehandelt haben: ein provisorisches, fragiles Regime, das den Protestlern eine Art Korridor fürs Marschieren freilässt. Einen Korridor, in dem die State Troopers in ihren blauen Polizeiuniformen nur hier und da in kleinen Gruppen am Straßenrand stehen, die durchsichtigen Plastikschutzschilde demonstrativ lässig in den Händen. Sie wollen, sie sollen nicht wirken wie die massive Phalanx der vergangenen Nächte, eine Wand aus Schilden und Helmen, die Fergusons junge Männer eher zum Widerstand reizt, statt sie zum Aufgeben zu bewegen.       Diesmal scheint die Absprache zu halten, jedenfalls ziemlich lange. „Hände hoch! Nicht schießen!“, rufen die Demonstranten ihren Slogan in die Nacht. Abends gegen neun sind es vielleicht dreihundert, später werden es mehr. Einige tragen Tücher vor Mund und Nase, aus Schutz gegen Tränengas, im Zweifelsfall wohl auch, um sich später vermummen zu können. Hier und da eine Gasmaske, provisorisch gebastelte Masken, die nicht so aussehen, als würden sie viel nützen – und wohl sowieso eher symbolisch gemeint sind.

„Wir müssen Brücken bauen zur Polizei“

„Wir wollen Frieden, damit wir Gerechtigkeit kriegen“, ruft Charles Brooks in sein Megafon. Es ist eine neue Parole, die zur Entspannung beitragen soll. Die Alternative zum „No Justice! No Peace!“, wie es in den Nächten zuvor durch Ferguson hallte. Keine Gerechtigkeit, ergo kein Frieden: Solange er nicht vor Gericht steht, der Polizist, der den

Teenager Michael Brown erschoss, so lange wird Ferguson nicht zur Ruhe kommen, geht die Logik der Jungen. Erst mal Ruhe, dass die Mühlen des Rechtsstaats mahlen können, setzen nun ihre Väter dagegen. Es sind lokale Autoritätspersonen, die ihre Stimme erheben. Auf Leute von außerhalb hört man nicht.

     „Vielleicht ist das heute ein Wendepunkt“, hofft Charles Brooks. Schweißgebadet, im ärmellosen Hemd, läuft der 41-Jährige mit den Muskeln eines Bodybuilders neben den Demonstranten her, um sie, genau wie Gary Hill, auf der vorgeschriebenen Route zu halten. Brooks fährt Kühlschränke und Waschmaschinen aus, unmittelbar nach der Schicht ist er zur Florissant Avenue geeilt, um als eine Art Ordnungshüter Dienst am Gemeinwohl zu leisten. „Wir müssen Brücken bauen zur Polizei“, sagt Brooks. „Aber ganz ehrlich, im Moment steht noch nicht mal der erste Brückenpfeiler. Wie sind am Punkt null.“ 

        Am Ende der Nacht, der zehnten Nacht der Unruhen, zieht Ron Johnson, der afroamerikanische Highway Patrol Captain, der die Polizei am Unruheherd kommandiert, eine Bilanz, die vergleichsweise positiv ausfällt. Nur 47 Festnahmen. Die Polizei setzte erstmals seit Langem kein Tränengas ein, nur Pfefferspray. Von der anderen Seite flogen keine Molotowcocktails, nur hier und da ein paar Steine und Flaschen. Anderswo läse sich Johnsons Bilanz vielleicht schockierend, in Ferguson ist sie ein Fortschritt. Der Mittwoch ist der Tag Eric Holders, des Justizministers. Parallel zu Holders Besuch soll eine Grand Jury tagen, das Gremium, das zu entscheiden hat, ob Wilson demnächst vor einem Richter steht oder nicht.