Eine mehrtägige Demonstration zur Unterstützung des inhaftierten Abdullah Öcalan führt nach Straßburg. Der Marsch ist in Stuttgart losgegangen. In Bad Cannstatt gab es einen Zwischenfall mit anschließender Sitzblockade.

Stuttgart - Der Friede hat nur knapp eine Stunde lang gehalten. Um kurz vor zehn Uhr waren etwa 200 Teilnehmer beim Ostendplatz zum so genannten Kurdenmarsch 2016 gestartet, um 10.45 Uhr attackierten drei kurdische Demonstranten aus dem Zug heraus einen Passanten, der am Wilhelmsplatz in Cannstatt den Zug mit einem verächtlichen Gruß der nationalistischen „Grauen Wölfe“ provoziert hatte.

 

Der Fußgänger erlitt dabei Prellungen im Gesicht und eine Verletzung am Unterarm. Die Polizei nahm die drei Angreifer vorübergehend fest. Daraufhin blockierten die Demonstranten etwa eine halbe Stunde lang die Gleise der Stadtbahn und forderten die sofortige Freilassung der drei Demonstranten. Die Polizei ging darauf nicht ein, klärte die Identität der Angreifer und sprach anschließend einen Verweis für den Kurdenmarsch aus.

Drei Männer sind vom weiteren Protestzug ausgeschlossen

Das bedeutet, dass die drei Männer nicht mehr an der Demonstration teilnehmen dürfen. Tun sie es doch, begehen sie laut einem Sprecher der Polizei, eine Straftat. Die Stuttgarter Straßenbahnen mussten einen Zug der Linie U 2 statt nach Neugereut nach Fellbach umleiten, andere Linien hatten bis zu 15 Minuten Verspätung. Auch im Autoverkehr gab es zeitweise lange Staus.

Begonnnen hatte der Marsch nach Straßburg am Morgen friedlich und mit viel Musik und Tanz. Die meist jungen Demonstranten versammelten sich von neun Uhr an in der Ostendstraße vor einem Dönerimbiss. Angemeldet hatte die Demonstration das „Demokratische kurdische Gesellschaftszentrum e.V.“, ein Verein, den das Bundesamt für Verfassungsschutz als Versuch der verbotenen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) wertet, legale Strukturen aufzubauen.

Große Abschlussdemo in Straßburg geplant

Vor dem Abmarsch wurde friedlich gesungen, die Demonstranten schwenkten Fahnen mit „Free your movement“-Aufrucken oder dem Konterfei von Abdullah Öcalan In sechs Etappen wollen die Demonstranten von Stuttgart nach Straßburg ins Elsass ziehen, wo am Samstag, 13. Februar, eine große kurdische Demonstration stattfinden soll.

Der Kurdenmarsch ist eine seit einigen Jahren immer wieder stattfindende Demonstration, um unter anderem für die Freilassung von Abdullah Öcalan zu protestieren. Der studierte Politologe war Führer der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK), die seit mehr als 20 Jahren als militante Untergrundorganisation eingestuft wird. Öcalan wurde am 15. Februar 1999 in Kenia nach dem Verlassen der griechischen Botschaft vom türkischen Geheimdienst aufgegriffen und in die Türkei gebracht. Im selben Jahr wurde er zum Tode verurteilt, das Urteil im Jahr 2002 schließlich in lebenslänglich umgewandelt.

Seither setzen sich auch gemäßigte Kurden immer wieder für die Freilassung des 66-Jährigen ein. Darüber hinaus wollen die Kurden mit dem Marsch auch auf die aktuelle Lage in Kurdistan aufmerksam machen. Zurzeit gibt es dort schwere Kämpfe. Erst vor wenigen Tagen kamen in der südosttürkischen Stadt Cizre 60 Kurden in einem Kellergewölbe durch das türkische Militär ums Leben.

Offizielle Stellen in der Türkei sprechen von „neutralisierten PKK-Kämpfern“, Ali Cicer, der sich bei der Stuttgarter Demonstration als Pressesprecher des Veranstalters vorstellt, von „hingerichteten Geiseln“. Die Lage in den Kurdenregionen ist auf jeden Fall explosiv, Amnesty International spricht von etwa 150 getöteten Zivilisten in der Region Cizre.

100 Polizisten begleiten den Protestmarsch

Dafür ist die Stimmung unter den Demonstranten in Stuttgart unaufgeregt. Junge Frauen trugen ein Banner mit dem Bild Öcalans an der Spitze des Zuges, die meiste Zeit blieb es ruhig.

Begleitet wird der Zug auf seinen 138 Kilometern und sechs Etappen bis an die deutsche Grenze von einer 100-köpfigen Einheit der Polizei aus Bruchsal. Die Badener haben jahrelange Erfahrung mit den Kurdenmärschen. „Meistens ist es friedlich geblieben“, erklärte Einsatzsprecher Michael Wernthaler vor dem Aufbruch. „Bisher hatten wir nur 2012 auf dem Mannheimer Maimarktgelände Probleme mit gewalttätigen Ausschreitungen.“ Und jetzt gleich zum Auftakt in Stuttgart – aber in deutlich kleinerem Ausmaß. Bis zum Abend blieb es dann aber auf dem Weg zum ersten Etappenziel nach Ludwigsburg ruhig.

Keinen Zweifel lässt Polizeieinsatzsprecher Wernthaler daran, wie er die Demonstranten einschätzt. „Die Leute hier sind überwiegend aus der Sympathisantenszene der PKK“, sagt er. Deshalb auch die intensive Begleitung, bei der auch überwacht wird, dass die Demonstranten keine Symbole der PKK zeigen oder PKK-Parolen verbreiten. „Das wäre verboten“, sagt Wernthaler. Der Zug geht am Dienstag von Mühlacker in Richtung Pforzheim weiter.