Eine spektakuläre Aktion an einem Schornstein der ehemaligen Lederfabrik Breuninger hat am Donnerstag Einsatzkräfte gefordert. Ein Grundstücksnachbar gibt zu, auf dem Gelände aufgegriffen worden zu sein – ob er es war, der nach oben kletterte, lässt er offen.

Schorndorf - Zehn Jahre lang hat sich auf dem Gelände der alten Lederfabrik Breuninger nahe des Schorndorfer Bahnhofs nichts getan. Am Donnerstag war das Areal indes Schauplatz einer ungewöhnlichen Protestaktion – die am Abend mit einem spektakulären Polizeieinsatz endete.

 

Schon am Morgen flatterte von der Spitze des gut 50 Meter hohen Fabrikschornsteins ein großes Banner mit den Worten „Abgelehnt!“. Kurz nach 17 Uhr wurde dann oben auf dem Schlot ein Mann gesichtet. Bilder zeigen, dass sich ein Unbekannter mit einer schwarzen Kapuze auf dem Kopf auf der Kaminspitze unter einem Sonnenschirm eingerichtet hatte.

„Schöne sportliche Leistung“

Am Freitag meldete sich bei unserer Zeitung der Schorndorfer Mühlenbesitzer Jochen Hahn und gab zu, jene Person zu sein, welche die Polizei später in einem Erdloch in dem Gebäude unter den Kamin aufgegriffen hatte. Hahn machte allerdings keine Angabe dazu, ob er auch derjenige war, der auf den Kamin gestiegen ist. Das hohe Bauwerk zu ersteigen bezeichnete er indes als „schöne sportliche Leistung“.

Der Besitzer der benachbarten Hahnschen Mühle ist bereits seit längerem mit dem Rathaus wegen der Entwicklung des Quartiers im Gespräch. In dem Gebiet entstünden in den kommenden Jahren mehr als 1000 Wohnungen, dazu brauche man dringend ein Nutzungskonzept, argumentiert Hahn. Das Sanierungsgeld fließe nur in die historische Innenstadt, während das Gebiet um die Vorstadtstraße seit 40 Jahren städtebaulich brach liege. Zudem seien bei dem Investorenauswahlverfahren keine öffentlichen Einblicke gewährt worden. Das geplante Quartier füge sich nicht gut in die Bebauung ein, formuliert Hahn in einem Papier, das er für eine Veranstaltung Anfang des Jahres entworfen hat.

Kritiker sehen Entwicklung zu Großstadt-Sateliten

Die Bediensteten des städtischen Gebäudemanagements konnten die Aktion auf gleicher Höhe von ihren neuen Büros aus in den so genannten Post-Arkaden beobachten. Das frühere Postgebäude, das erhöht und erheblich vergrößert worden ist, belege den Wandel in der Daimlerstadt gut, sagen Kritiker wie Hahn. Sie beklagen, dass sich eine beschauliche Landstadt zu einem Großstadt-Satelliten verändere.

Das Breuningerareal ist im Besitz der Stadt. Gegenwärtig wird ein neuer Investor für das Areal ausgewählt. Just am Donnerstagabend hätte der Gemeinderat zwischen den Bietern eine Entscheidung treffen sollen, er hat dies aber vertagt – wegen neuer Entscheidungsgrundlagen, wie es vonseiten der Stadtverwaltung hieß. Einer der Bieter, die Firma Pflugfelder aus Ludwigsburg, hatte einige Tage vor der Sitzung überraschend eine alternative Fassadengestaltung vorgeschlagen. Das hat der Firmenchef Jürgen Pflugfelder auf Anfrage bestätigt. Er habe seine Mitarbeiter ermuntert, nochmals auf die Stadträte zuzugehen und zu fragen, ob es Erklärungsbedarf gebe. Einige Räte sollen zuhause angerufen worden sein.

Die städtische Wirtschaftsförderin Gabriele Koch sagt, es handle sich um ein „nicht formalisiertes Bieterverfahren“, in welchem nachträgliche Veränderungen möglich seien. Auf Anfrage heißt es aus dem Stuttgarter Regierungspräsidium, es sei grundsätzlich möglich, so zu agieren.

Schorndofer OB an Greenpeace erinnert

Der Schorndorfer Oberbürgermeister Matthias Klopfer sieht sich durch die Protestaktion auf dem Breuningergelände nicht angegriffen. Die Aktion erinnere ihn an Greenpeace, sagte er auf Nachfrage. Das Transparent habe am Donnerstagmorgen nicht entfernt werden können, weil die Fachfirma wegen der Nässe nicht habe aufsteigen können. Gegen 17 Uhr sei dann der Kletterer auf der Spitze des Kamins entdeckt worden.

Nach einem Gespräch mit der Stadt sei man von Hausfriedensbruch ausgegangen, sagt ein Polizeisprecher. Ein Hubschrauber stieg auf, zudem wurden acht Mitglieder eines Sondereinsatzkommandos hinzugerufen, weil nur diese solch hohe Gebäude erklettern dürfen.

Vom Boden aus waren die Taschenlampen der SEK-Leute zu sehen, die außen am Kamin emporstiegen und dann im Kamin nach dem Kletterer suchten. Der Mann, der in einem Erdloch am Fuß des Kamins gefunden wurde, sei nach der Feststellung der Personalien wieder auf freien Fuß gesetzt worden, verlautete die Polizei. Zeugen wurden gebeten, Videos und Fotos der Kletteraktion zur Verfügung zu stellen.

Das Ringen um die alte Lederfabrik

Ursprung
150 Jahre alt ist die traditionsreiche Lederfabrik Breuninger, deren Produkte wegen der pflanzlichen Gerbung als sehr hochwertig galten. 2008 musste das Unternehmen wegen der schlechten Zahlungsmoral ihrer Kunden Insolvenz anmelden. Die Stadt hatte, ohne selbst Eigentümerin des Geländes zu sein, zwei Konsortien aufgetan, die im Frühjahr 2009 dem Gemeinderat ihre Pläne präsentierten. Das Rennen machte die Activ-Group aus Schemmerhofen, die fast komplett auf neue Gebäude setzte.

Hängepartie
Bis zum Jahr 2014 mühte sich die Activ-Group und danach der Bad Cannstatter Immobilienentwickler Sepa, das Gelände zu entwickeln und genügend Mieter zu finden. Das ließ sich für die damals von Handelsflächen und Büros geprägte Konzeption nicht erreichen. Zudem gab es Streit mit dem Rathaus, das seine Ziele nicht mehr verwirklicht sah. Schließlich ging der Immobilenentwickler Sepa insolvent. Ende 2014 kaufte die Stadt das 1,3 Hektar große Gelände für 2,6 Millionen Euro.

Umbruch
Im Sommer 2015 stiegen Gruppen von Jugendlichen in das Gebäude ein, mehrfach musste die Feuerwehr Brände löschen. Im Jahr 2016 wurde das neue Auswahlverfahren gestartet. Der Investor Formart tritt mit Gebäuden mit modern anmutenden Beton- und Glasfassaden und vier Geschossen gegen den Konkurrenten Pflugfelder aus Ludwigsburg an, dessen Entwurf dank Klinkerfassaden etwas gefälliger wirkt. Der Kamin wird nach beiden Entwürfen fallen. Die Entscheidung ist für den 18. Mai geplant.