Das Amtsgericht hat eine Mutter verurteilt, weil sie ihre Tochter entführt und widerrechtlich nach Polen gebracht hatte. Der Vater holte das kleine Kind später zurück nach Baden-Württemberg, nutzte dabei aber ebenfalls illegale Methoden.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Schwieberdingen - Irgendwann muss es so etwas wie Liebe zwischen diesen Menschen gegeben haben. Die 34-jährige Polin, Juristin, und der 41 Jahre alte Deutsche aus Schwieberdingen waren verlobt, sie haben zusammen eine kleine Tochter. Jetzt ist nur noch Hass übrig. Als der Mann den Saal des Ludwigsburger Amtsgerichts betritt, würdigt er seine ehemalige Freundin keines Blickes. Er ist als Zeuge geladen, sie ist die Angeklagte, obwohl sie sich einander das Kind weggenommen haben. Nicht mal der Richter kann sich mit der Situation anfreunden. „Ich kann verstehen, dass Sie das ungerecht finden“, sagt er zu der Frau. „Aber das ändert nichts daran, dass Sie eine Straftat begangen haben.“ Auch wenn dahinter eine „familiäre Tragödie“ stecke.

 

Tragödie oder nicht – nach einer langen Verhandlung verurteilt der Richter die Polin wegen Entziehung Minderjähriger und gemeinschaftlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 560 Euro.

Die Eltern sind hoffnungslos zerstritten

Begonnen hat die Geschichte im Jahr 2011. Die Beziehung kriselte, weshalb die Frau im Sommer einige Wochen in Löcknitz in Mecklenburg-Vorpommern verbrachte, während der Mann mit der Tochter und einem Au-Pair-Mädchen in den Urlaub nach Frankreich reiste. Im Juli trafen sich alle in Löcknitz, und alles geriet außer Kontrolle. Vater und Mutter stritten, denn das kleine Kind hatte einen Ausschlag im Genitalbereich. Obwohl ein Arzt schnell bestätigte, dass es sich um eine Pilzerkrankung handelte, stand kurz der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Raum. Der Vater fuhr erbost zurück nach Schwieberdingen – mit seiner Tochter. „Die Beziehung zur Mutter war für mich beendet. Den Vorwurf, ich hätte dem Kind etwas angetan, konnte ich mir nicht gefallen lassen“, erklärt er.

Dann wurde es dramatisch. Wenige Stunden später machte sich auch die 34-Jährige auf den Weg nach Schwieberdingen, zusammen mit ihrem Vater und Bruder. Was genau in der dortigen Wohnung geschah, lässt sich vor Gericht nicht klären. Offenbar griff der Bruder das Mädchen und trug es in das vor dem Haus parkende Auto, während sein Vater den Vater des Kinds in Schach hielt. Auf der Straße ging es weiter. Der Schwieberdinger versuchte, das Auto aufzuhalten, stellte sich vor die Motorhaube. Nachbarn schildern, wie der Motor mehrfach aufgeheult habe, der Wagen ruckartig losgefahren und der Mann so zur Seite gedrängt worden sei.

Das Trio verschwand mitsamt Kind gen Polen. „Der Vater saß völlig verzweifelt auf der Straße und hat immer wieder gerufen, man habe seine Tochter entführt“, erzählt eine Zeugin vor Gericht.

Das Sorgerechtsverfahren ist noch nicht abgeschlossen

Der Schwieberdinger schaltete Detektive ein, die seine Tochter finden sollten, und wandte sich an polnische Behörden. Ein Gericht in Polen ordnete schließlich an, dass die Mutter ihm ein Umgangsrecht einräumen muss, er seine Tochter also sehen darf. Bei einer dieser Gelegenheiten im Mai 2012 nahm er das Mädchen und fuhr mit einem Bekannten, der mit einem Auto wartete, zurück nach Baden-Württemberg.

Für die erste Entführung ist die Mutter verantwortlich, für die zweite der Vater – zu wem also gehört dieses Kind? Eine Einigung ist undenkbar. Vor dem Amtsgericht überschütten sich die Eltern mit Vorwürfen. Die Mutter habe psychische Probleme, neige zu Wutausbrüchen, sagt der Vater. Der Vater habe sich nie um das Kind gekümmert, sagt die Mutter. Auch das Stuttgarter Oberlandesgericht hat sich bereits mit dem Fall befasst, stellte aber nur fest, dass beide Eltern widerrechtlich handelten. Einen Prozess in Polen muss der Schwieberdinger wohl nicht fürchten, weil dort der Tatbestand der Kindesentführung faktisch nicht existiert, wenn der Entführer auch der Vater des Kinds ist. Und ein deutsches Familiengericht hat per einstweiliger Verfügung angeordnet, dass die Tochter vorläufig beim Vater bleibt. Das Mädchen habe bisher länger in Deutschland gelebt als in Polen, es gelte der Kontinuitätsgrundsatz.

Das Sorgerechtsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die Polin kämpft weiter. Sie bereue die Aktion in Schwieberdingen nicht, sagt sie in ihrem Schlusswort in Ludwigsburg. Sie habe damals nur ihr Kind abholen wollen. „Das war keine Entführung.“