Brisante Dokumente zu Audis Rolle in der VW-Diesel-Affäre sind in einem Arbeitsgerichtsprozess in Stuttgart zur Sprache gekommen. Ein leitender Motorentwickler wehrt sich dort gegen seine Freistellung – er sieht sich als „Bauernopfer“.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - In der VW-Dieselaffäre sind vor dem Landesarbeitsgericht Stuttgart neue, schwere Vorwürfe gegen die Spitze von Audi erhoben worden. Der Vorstand um Audi-Chef Rupert Stadler wusste danach schon im Jahr 2012, dass in den USA verkaufte Fahrzeuge nicht mehr den vereinbarten Zulassungsbedingungen entsprächen. Dies gehe aus einem ihm vorliegenden Dokument vom November 2012 hervor, sagte der Anwalt eines wegen der Abgasaffäre freigestellten leitenden Mitarbeiters, der auf Weiterbeschäftigung klagt.

 

Ein weiteres Dokument vom März 2014 zeige zugleich, dass Audi bei Dieselmotoren für die Modelle A 6 und A 7 bewusst höhere Emissionen in Kauf genommen habe, um den Verkauf nicht zu beeinträchtigen. Der Aufwand für das Zuführen der Harnstofflösung Ad blue, das den Diesel sauberer machen soll, sei negativer eingeschätzt worden als mögliche Schlagzeilen wegen des höheren Ausstoßes an Schadstoffen. Bereits zu dem Zeitpunkt, als Stadler öffentlich versichern ließ, Audi sei sauber und habe kein Problem mit den Dieselmotoren, habe der freigestellte Mitarbeiter entgegengehalten: „Nein, wir haben ein Problem, wir sind nicht sauber.“ Die Audi-Vertreter in der Sitzung wiesen die Vorwürfe teils zurück, teils sagten sie, man könne ohne Kenntnis der Unterlagen nicht unmittelbar darauf reagieren.

Baldige Rückkehr in Aussicht gestellt?

Der klagende Ingenieur war als Hauptabteilungsleiter für die Entwicklung von Dieselmotoren am Standort Neckarsulm zuständig. Er wurde im Zuge der Abgasaffäre Ende 2015 freigestellt, wie weitere leitende Mitarbeiter auch. Audi bestätigte auf StZ-Anfrage die Freistellung von mehreren Mitarbeitern, nannte „aus arbeitsrechtlichen Gründen“ aber keine Details. Nach Darstellung seines Anwalts hatte der Ingenieur auf Zusagen vertraut, bald wieder zurückkehren zu können. Stadler und sein Umfeld hätten ihm signalisiert, er müsse sich keine Sorgen machen und könne im Unternehmen sogar weiter aufsteigen. Seine Rückkehr sei jedoch immer weiter verzögert worden, der Motorexperte habe sich hingehalten gefühlt. Im vorigen Jahr habe er dann erfahren, dass seine Stelle wegfallen solle und er bei Audi keine Perspektive mehr habe.

Daraufhin habe er beim Arbeitsgericht Heilbronn auf Weiterbeschäftigung geklagt, war in einem vorläufigen Verfahren aber voriges Jahr unterlegen; in der Hauptsache soll in Heilbronn erst nächste Woche verhandelt werden. Gegen die Niederlage war der Ingenieur vor das Landesarbeitsgericht gezogen; dieses will seine Entscheidung an diesem Donnerstag bekannt geben.

Richter mahnt zur Mäßigung

Bis heute wisse der Ingenieur nicht, was ihm eigentlich vorgeworfen werde, sagte sein Anwalt Hans-Georg Kauffeld in der Verhandlung. Er sprach wiederholt von einem „Bauernopfer“, was die Vertreter von Audi entrüstet als Polemik zurückwiesen. Angesichts des gereizten Schlagabtausches musste der Vorsitzende Richter beide Seiten mehrfach zur Mäßigung mahnen.

Ein zentraler Streitpunkt in der Verhandlung war, inwieweit der von VW in Auftrag gegebene Bericht der US-Anwaltskanzlei Jones Day Jones inzwischen abgeschlossen sei. Audi hatte in der Auseinandersetzung mit dem Manager immer wieder darauf verwiesen, dass man diesen abwarten müsse. Kauffeld sagte, nach seinen Informationen liege der Bericht vor; er wisse sogar von „rot umkringelten“ Namen von Verdächtigen. Wäre sein Mandant dadurch belastet worden, hätte man ihn längst gekündigt. Zudem hätte VW in den USA keinen Vergleich über fünf Milliarden Euro mit den dortigen Umweltbehörden schließen dürfen, wenn noch Fragen offen wären. Audi-Chef Stadler sitze bekanntlich auch im VW-Vorstand und müsse an dem Vergleich mitgewirkt haben.

Staatsanwaltschaft prüft Ermittlungen

Die Audi-Vertreter widersprachen, die Arbeit der US-Anwälte sei noch nicht abgeschlossen. Man warte noch auf klare Aussagen zu den Verantwortlichkeiten; erst darauf könnten Sanktionen gegen Personen erfolgen. Zudem liefen in Amerika noch straf- und zivilrechtliche Untersuchungen. In Deutschland führt die Staatsanwaltschaft München bisher nur Vorermittlungen gegen mögliche Audi-Verantwortliche. Der Sachverhalt sei „sehr komplex“, man prüfe nach wie vor, ob ein Anfangsverdacht vorliege, sagte ein Sprecher auf StZ-Anfrage. Dagegen ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig im Zusammenhang mit VW gegen 37 Verdächtige.

Laut seinem Anwalt war der früher auch für Daimler tätige Ingenieur kurz nach einer Krisenbesprechung in Amerika freigestellt worden. Er habe die US-Behörden informieren wollen, dies aber nicht mehr können. Eine brisante Präsentation, die die Probleme aufgezeigt habe, sei „von den Vorständen zusammengestrichen“ worden. Dies sei „Polemik“ und „spekulativ“, erwiderten die Audi-Prozessvertreter. Differenzen gab es auch über die Vernehmung des Ingenieurs durch die Anwälte von Jones Day im September 2016. Dessen Anwalt sagte, wenige Tage danach sei der neue Audi-Entwicklungsvorstand Stefan Knirsch nach kurzer Amtszeit abgelöst worden. Basis sei offenbar „der aktuelle Ermittlungsstand“ gewesen, ließ er einen Zusammenhang anklingen. Die Audi-Vertreter sagten, der freigestellte Motor-Experte sei von den US-Anwälten aufgefordert worden, ihnen Dokumente auszuhändigen; dies habe er bis heute nicht getan. So handele niemand, „dem Unrecht geschieht“, folgerten sie. Der Anwalt des Ingenieurs sagte, er verfüge über fünf Ordner mit Dokumenten. Deren Inhalt sei „sehr brisant“, verlautete aus Justizkreisen. Mehr davon werde wohl erst auf den Tisch kommen, wenn am nächsten Dienstag das Arbeitsgericht Heilbronn verhandelt.