Christel Augenstein, die frühere Pforzheimer OB, ihre einstige Kämmerin und drei weitere Personen stehen wegen Untreue vor Gericht. Der Stadt blieb ein Schaden von zwölf Millionen Euro. Augenstein wird vom FDP-Mann Wolfgang Kubicki vertreten.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Mannheim - Die frühere Stadtkämmerin von Pforzheim, Susanne Weishaar, wirkt gezeichnet. Man sieht ihr an, wie die Worte des Oberstaatsanwalts beim Verlesen der Anklageschrift sie treffen, auch wenn sie sich bemüht, standhaft zu wirken. Sie sehe um Jahrzehnte gealtert aus, meint hinterher jemand im Foyer des Landgerichts Mannheim, wo am Dienstag der erste von mehr als zwei Dutzend Verhandlungsterminen eines Strafprozesses stattfand, dem die Medien den Titel „Derivateskandal“ gaben.

 

Aber obwohl Weishaar zunächst in eigener Verantwortung jene zweifelhaften Zinsgeschäfte abgeschlossen hat, die zu einem Verlust von rund 58 Millionen Euro für die Stadt Pforzheim geführt haben, liegt das Interesse der Beobachter bei Christel Augenstein, die von 2001 bis 2009 Oberbürgermeisterin von Pforzheim war und mit vier anderen auf der Anklagebank sitzt. Es kommt schließlich nicht allzu häufig vor, dass ein Stadtoberhaupt vor Gericht steht; das Medieninteresse ist beträchtlich. Die 68-Jährige schaut die meiste Zeit ernst auf den Bildschirm ihres Computers. Als OB hat sie gelernt, eine Rolle zu spielen und nicht zu zeigen, was in ihr vorgeht. Kein Angeklagter ergreift selbst das Wort – alle wollen aber später aussagen.

Quälend lang zieht sich diese Geschichte schon hin, seit ihrem Bekanntwerden im Jahr 2007 sind bereits zehn Jahre verstrichen. Zunächst war der Zivilprozess geführt worden; nach zwei Vergleichen mit der Deutschen Bank und der J P Morgan Bank blieben dennoch zwölf Millionen Euro Defizit für Pforzheim. Quälend lang dürfte auch der Prozess werden, denn widersprüchlicher könnten die Aussagen von Staatsanwalt und den insgesamt zehn Verteidigern nicht sein.

Seit Oktober 2006 wusste auch Augenstein von diesen Geschäften

Oberstaatsanwalt Uwe Siegrist ist überzeugt, dass Susanne Weishaar zwar zu Beginn ihrer Tätigkeit in Pforzheim 2002 ein modernes Schuldenmanagement einführen wollte und zunächst einige zulässige Swaps abschloss. Bei Swaps werden laufende Kredite mit festem Zinssatz an ein neues Geschäft gekoppelt, so dass man variable Zinssätze erhält – im besten Fall niedrigere. Doch dann habe Weishaar „ihre Spielräume bei Weitem überschritten“ und riskante Zinsgeschäfte mit spekulativem Charakter getätigt, sagt Siegrist. Das sei Kommunen verboten. Als der Marktwert dieser Verträge 2005 dramatisch absackte, wurde zunächst umstrukturiert, dann schloss man mit Morgan Spiegelgeschäfte – die Risiken der Verträge mit der Deutschen Bank wurden dadurch zwar abgefangen, aber neue taten sich auf. Siegrist zufolge ist Weishaar zumindest ab einem gewissen Zeitpunkt bewusst gewesen, dass diese Geschäfte für eine Kommune nicht rechtens waren, dass es ein gewaltiges Risiko gab und dass der Gemeinderat hätte eingeschaltet werden müssen.

Seit Oktober 2006 wusste auch Augenstein von diesen Geschäften; sie trug das Vorgehen letztlich mit, unterzeichnete einen Vertrag wohl auch selbst. Weishaars Stellvertreter Konrad Weber soll die Spiegelgeschäfte mit vorbereitet haben – deshalb sitzt auch er auf der Anklagebank. Während Weishaar 2010 mehr oder minder freiwillig die Stadt Pforzheim verließ und seither nach Aussagen ihres Anwaltes keine adäquate Beschäftigung mehr gefunden hat, wurde Weber sogar ihr Nachfolger. Er ist bis heute der kommissarische Kämmerer der Stadt – und besitzt laut Pressesprecher Philipp Mukherjee weiter das Vertrauen. Daneben sind zwei Angestellte von J P Morgan angeklagt, da sie der Stadt Geschäfte angeboten hätten, die unzulässig gewesen seien; zudem hätten sie zur „massiven Täuschung des Gemeinderates“ beigetragen, so die Anklage.

Verteidiger haben sich offensichtlich im Vorfeld geeinigt

Die Verteidiger haben sich offensichtlich im Vorfeld geeinigt, eine gemeinsame Strategie zu verfolgen – es hätte ja auch passieren können, dass die Mehrheit der Anwälte versucht, die Hauptschuld Susanne Weishaar anzulasten. Das war aber nicht der Fall. Vielmehr sprach Eddo Compart, einer der Anwälte Weishaars, quasi für alle, als er eine Erklärung abgab. Richter Andreas Lindenthal hatte sich, wie er augenzwinkernd meinte, für eine amerikanische Variante eines Strafprozesses entschieden und entgegen den sonstigen Gepflogenheiten einen frühen Auftritt der Verteidiger erlaubt.Die Swap- und Spiegel-Swap-Geschäfte seien damals ein gängiges Instrument in vielen deutschen Kommunen gewesen, um die hohen Zinsen zu drücken, sagte Compart. Aus heutiger Sicht habe es sich um eine wirtschaftliche Fehlentscheidung gehandelt, das räumte der Anwalt ein: „Frau Weishaar bedauert dies zutiefst.“ Aber keiner der Angeklagten habe gegen das kommunale Verbot der Spekulation verstoßen, der Gemeinderat sei „stets umfassend“ informiert worden, und niemand habe seine Kompetenzen überschritten: „Es gibt deshalb kein strafrechtlich relevantes Verhalten“, so Compart. Er führte mehrere Gutachten von Universitäten und von einer „weltweit renommierten“ Anwaltskanzlei ins Feld, die alle seine Argumentation stützten.

Christel Augenstein lässt sich von Wolfgang Kubicki vertreten, der am Dienstag ebenfalls seinen ersten Auftritt hatte – und hinterher noch gewohnt souverän vor die Fernsehkameras trat. Der Kieler Anwalt, FDP-Parteifreund Augensteins und stellvertretender Bundesvorsitzender der Liberalen, ging sogar so weit, die Staatsanwaltschaft als „nachlässig“ zu bezeichnen: Die Verluste seien doch erst eingetreten, als der neue OB Gert Hager die Verträge gekündigt habe – ob dies rechtens gewesen sei, habe man aber gar nicht untersucht. Insgesamt hätten 800 deutsche Kommunen solche Geschäfte gemacht – bei keiner einzigen sei Anklage gegen einzelne Personen erhoben worden. Kubickis beinahe arglos daherkommendes Fazit: „Diese Vorwürfe machen mich ratlos. Alle wollten das Beste für Pforzheim.“

Mindestens bis Januar 2018 wird der Prozess dauern. Welche Folgen den Angeklagten drohen, ist offen. Die Staatsanwaltschaft sprach von „gewichtigen“ Vorwürfen. Bei Untreue in schwerem Fall könnten mehrere Jahre Gefängnis die Folge sein. Zudem behält sich die Stadt Pforzheim Regressforderungen vor. Susanne Weishaar und Christel Augenstein wissen das; auch das lastet auf ihren Schultern.