Kultur: Adrienne Braun (adr)

Ein Chopper, hinter dem Hochlenker hängt ein gut Fünfzigjähriger, sehr laut.

 

Manchmal reguliert die Verkehrspolizei den Verkehr auf der Theodor-Heuss-Straße herunter. Sie ändert die Ampelschaltung, damit sich der Verkehr staut, oder schließt die „Kopfwender“ an Hauptbahnhof und Rotebühlplatz, so dass die Schaufahrer größere Kreise drehen müssen über die Paulinenbrücke oder gar am Feuersee vorbei in Richtung Westbahnhof.

Motorrad mit Reifen so breit wie der Hintern des Fahrers, saumäßig laut.

Laut dem Verkehrsrecht ist jeder Verkehrsteilnehmer dazu angehalten, unnötige Lärm- oder Abgasbelästigungen zu verhindern. Das Anfahren mit quietschenden Reifen kann mit einem Bußgeld von zwanzig Euro geahndet werden. Auch das „unnütze Hin- und Herfahren innerhalb von geschlossenen Ortschaften“ ist nicht erlaubt und kann zu einem Platzverweis durch die Polizei führen.

Ein Suzuki-Quad fährt laut knatternd mitten durch die Fußgängerzone.

Freitagabend herrscht Hochbetrieb. Alle zwei bis drei Minuten fährt ein PS-Protz die Bolzstraße runter und biegt in die Stauffenbergstraße ein. Es ist immer dasselbe Spiel: Gas geben, auf den wenigen Metern aufdrehen, beschleunigen, vor dem Parkhaus abbremsen, wenden, Gas geben, auf den paar Metern aufdrehen, beschleunigen, abbiegen in die Bolzstraße – und zurück auf die Theodor-Heuss-Straße zum Wettrennen zwischen den Ampeln.

Weißer Lamborghini, Ludwigsburger Kennzeichen, Heckspoiler, ein Mann mit sehr großer Uhr und Sonnenbrille.

Imponiergehabe, sagen Verhaltensforscher, beruht auf zur Schau gestellter Potenz oder Vitalität. Die in der Regel männlichen Wesen wollen rivalisierende Geschlechtsgenossen damit einschüchtern und das andere Geschlecht locken. In der Regel gipfelt dieser Kampf gegen die Rivalen dann in der Kopulation mit dem so eroberten Weibchen.

Schwarzer Audi, Tübinger Kennzeichen, drei Jungs von Anfang zwanzig mit Sonnenbrillen.

Flusspferde und Affen entblößen ihr Gebiss. Hunde knurren, und Hirsche röhren. Tarzan und Gorilla-Männchen trommeln sich auf die Brust. Und junge Männer leihen sich von Mutti oder irgendeinem Kumpel das Auto und fahren nach Stuttgart rein, wo sie dann akustisch ihr Terrain markieren und mit jaulenden Motoren, quietschenden Reifen und röhrenden Auspuffen den Rivalen signalisieren: Hoppla, jetzt komm ich! Aufgehorcht und aufgepasst, ich bin hier und bin ein verdammt toller Hecht! Hauptsache Krach machen, röhren, knattern und jaulen.

Umleitung für Prollwagen

Ein Chopper, hinter dem Hochlenker hängt ein gut Fünfzigjähriger, sehr laut.

Manchmal reguliert die Verkehrspolizei den Verkehr auf der Theodor-Heuss-Straße herunter. Sie ändert die Ampelschaltung, damit sich der Verkehr staut, oder schließt die „Kopfwender“ an Hauptbahnhof und Rotebühlplatz, so dass die Schaufahrer größere Kreise drehen müssen über die Paulinenbrücke oder gar am Feuersee vorbei in Richtung Westbahnhof.

Motorrad mit Reifen so breit wie der Hintern des Fahrers, saumäßig laut.

Laut dem Verkehrsrecht ist jeder Verkehrsteilnehmer dazu angehalten, unnötige Lärm- oder Abgasbelästigungen zu verhindern. Das Anfahren mit quietschenden Reifen kann mit einem Bußgeld von zwanzig Euro geahndet werden. Auch das „unnütze Hin- und Herfahren innerhalb von geschlossenen Ortschaften“ ist nicht erlaubt und kann zu einem Platzverweis durch die Polizei führen.

Ein Suzuki-Quad fährt laut knatternd mitten durch die Fußgängerzone.

Die Polizei hat bei der Eventszene vor allem die „Prollwagen“ auf dem Kieker, wie es im Insiderjargon heißt. Manchmal entziehen sie Fahrzeugen die Betriebserlaubnis und lassen sie abschleppen, weil Auspuff oder Leuchten nicht den Vorschriften entsprechen. „Das tut den Fahrern am meisten weh“, erfährt man bei der Stuttgarter Polizei. Oft gehören die Autos nicht den Fahrern, sondern der Wagen ist auf die Mama zugelassen oder einen Freund.

Zwei Jungs im Porsche Carrera Cabriolet, Böblinger Kennzeichen. Der Fahrer ist gerade mal 19 Jahre alt und kommt aus Leonberg. Er arbeitet bei Porsche, das Cabriolet gehört seinem Vater. „In so einem Auto vergisst man seine Probleme“, erzählt der Junge. Jeden Freitagabend ist er mit seinem Kumpel in Stuttgart unterwegs und fährt zum Wenden alle zehn Minuten an den Speisegästen von Carls Brauhaus vorbei – in der Hoffnung, bei der nächsten Runde auf der Theo endlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen fahren zu können. „Mal auf siebzig hoch“, sagt er, „das ist geil“. Und danach noch irgendwo Shisha rauchen gehen.

Früher war die Welt noch in Ordnung

Roter Mercedes, Stuttgarter Kennzeichen, zwei Jungs Mitte zwanzig.

Ein wenig können sie einem schon leidtun, diese jungen Kerle, die ihr Taschengeld oder die hart verdienten Kröten an der Tankstelle lassen müssen – für nur einen einzigen Kavalierstart am Abend. Oft dauert es ein, zwei Stunden, bis sie dann endlich vor dem Sausalitos mit quietschenden Reifen anfahren und bis vor zum Rotebühlplatz heizen können. Viereinhalbtausend Meter Rennstrecke besitzt der Hockenheimring – bei der Stuttgarter-City-Rallye kann man sich auf vierzig Metern mal so richtig austoben. Gib Gas, ich will Spaß! Und falls gerade ein paar Mädels vorbeilaufen, wird aus der Kiste alles rausgeholt für einen hochpotenten Extraheuler.

Weiße Felgen, goldene Felgen, Felgen, die an Seesterne erinnern.

Früher war die Welt noch in Ordnung. Da fand sich immer ein Mädchen, das davon träumte, auf dem Mofa mitfahren zu dürfen. Wenn ein Kerl gar mit einem silberfarbenen Opel Manta durchs Dorf heizte, Kippe im Mundwinkel, die selbst aufgenommene Kassette voll aufgedreht und am Hosenbund auch noch ein baumelnder Fuchsschwanz, dann standen die Mädchen Spalier, kicherten nervös und dachten insgeheim: Das wäre ein Mann fürs Leben! Nichts schöner, als auf dem Beifahrersitz dieses silbergrauen Mantas in eine goldene Zukunft zu fahren!

Schwarzes BMW-Cabriolet, offenes Verdeck, Stuttgarter Kennzeichen, ein junger Mann mit Sonnenbrille.

Heute kann man noch so oft mit seiner polierten Luxuslimousine im Kreis fahren – und geht dabei doch nur sehr vielen Menschen wahnsinnig auf die Nerven. Schlimmer noch: heute kann man trotz PS und aufgeschweißtem Endrohr wohl nur noch bei sehr wenigen Frauen landen. Nicht ein einziger PS-Protz ist mit weiblicher Begleitung unterwegs.

Weißer BMW, schwarze Felgen, Stuttgarter Kennzeichen, ein junger Mann Anfang zwanzig mit Sonnenbrille, auch wenn es längst dunkel ist.

23.30 Uhr: inzwischen herrscht Hochbetrieb. Überall röhrt und knattert es, nicht nur auf der Theodor-Heuss-Straße, auch auf der Tübinger Straße, auf der Paulinenbrücke, der Hauptstätter Straße, der Heilbronner Straße. Tausende Stuttgarter machen sich bereit zur guten Nacht, steigen in ihre Betten, begleitet vom Stuttgarter Sommersound, der bis in die Morgenstunden hinein durch ihre Träume röhren wird.

Schwarzer Audi-Kombi, Göppinger Kennzeichen, getönte Scheiben, ein junger Mann mit Sonnenbrille.

Aber wer weiß, vielleicht scheint sich das PS-Protzen evolutionär letztlich doch noch zu bewähren – ein roter Lamborghini lässt das zumindest vermuten. Böblinger Kennzeichen, eine sehr junge Frau auf dem Beifahrersitz. Der Fahrer weit über sechzig. Vielleicht muss man einfach nur lang genug im Kreis fahren – und eines Tages lässt sich dann doch eine Frau davon überzeugen, dass hinter einem Boca-Carbon-Heckspoiler oder goldenen Racing Felgen ein löwenstarkes Männchen steckt.