Verschiedene Studien legen nahe, dass es eine genetische Anlage für chronische Schlaflosigkeit gibt. Meist finden sich in der Familie Verwandte, die ebenfalls schlecht schlafen. Eventuell erlernen Kinder, die in einer solchen Umgebung groß werden, auch Muster, die später bei ihnen selbst zu Schlafstörungen führen. Außerdem haben Schlafforscher bestimmte Charaktere ausgemacht, die vermehrt zu Schlafproblemen neigen. Sie tendieren oftmals zum Perfektionismus, haben einen hohen Leistungsanspruch, arbeiten zehn, zwölf, vierzehn Stunden jeden Tag und hinterfragen dieses Programm nur selten. Wenn Riemann sie auf ihr anstrengendes Leben anspricht, wiegeln sie ab. „Ich arbeite doch schon immer so viel, das kann nicht der Grund für meine Schlaflosigkeit sein.“ Dass sie sich zusätzlich noch um die gebrechlich gewordenen Eltern kümmern, ist selbstverständlich. Dass sie diese Belastungen nicht einfach wegstecken, sondern deshalb eine Insomnie entwickelt haben, wie Ärzte chronischen Schlafstörungen nennen, können sie nicht glauben. Alles fest im Griff zu haben, ist das Ziel, und so erleben Betroffene den nächtlichen Kontrollverlust als Kränkung, was die Situation schwieriger macht.

 

Schlechte Schläfer rutschen mit der Zeit in einen Teufelskreis. Der Stress am Tag sorgt dauerhaft für Schlafprobleme, die nervigen Nächte beeinträchtigen das Wohlbefinden massiv genauso wie die Leistungsfähigkeit. Die Bewältigung des Alltags wird als noch anstrengender empfunden, als sie es ohnehin schon war, und immer häufiger kreisen die Gedanken um das leidige Thema „Schlaf“. Mythen wie der, dass jeder Mensch acht Stunden Schlaf für ein gesundes Leben brauche, verstärken den Leidensdruck noch. Dieter Riemann kennt zuhauf Betroffene, die ihr ganzes Leben auf die Nacht ausrichten: Sie meiden am Abend alles, was sie aufregen könnte, sie gehen nicht mehr ins Kino und treffen keine Freunde. Dafür liegen sie früh im Bett. „Dort verbringen sie neun Stunden und mehr, schlafen aber höchstens sechseinhalb“, bilanziert der Schlaftherapeut, der Mitherausgeber der von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) erarbeiteten Leitlinien zur Behandlung von Schlafstörungen ist.

Da dann das Bett bereits zum negativ besetzten Reizort geworden ist und das Schlafengehen zu einer aufregenden Angelegenheit, empfiehlt die DGSM, die Schlafzeit zu begrenzen und sich wirklich nur hinzulegen, wenn man müde ist. Das Bett darf nur zum Schlafen genutzt werden. Wer nicht einschlafen kann, sollte wieder aufstehen. Verboten sind Nickerchen am Tag. Außerdem sollte, wer seine Schlafstörung loswerden möchte, jeden Morgen zur selben Zeit aufstehen. Empfehlenswert sind Rituale vorm Zubettgehen. Wecker sollten vom Nachttisch verbannt werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich der ängstliche Blick auf die Uhr negativ aufs Schlafvermögen auswirkt. Zu schnell setzt sich im Kopf der Gedanke fest: „Es ist wie immer, es geht schief.“ Abzuraten ist auch von Wein oder Bier als Schlaftrunk. Alkohol macht zwar im ersten Moment müde, doch die Abbauprozesse in der Nacht verhindern das Durchschlafen. Eine Testphase von mindestens zwei Wochen ganz ohne Alkohol rät Riemann jedem, der Schlafprobleme hat. Gehen diese zurück, empfiehlt es sich am Abend dauerhaft auf Wasser, Säfte und Tee umzusteigen.