In Deutschland wird das Potenzial von Berufswechslern zu wenig genutzt. Arbeitgeber seien wenig experimentierfreudig, Fachfremde einzustellen.

Angela Merkel ist Quereinsteigerin. Außer in der Politik findet man bei Schauspielern, Journalisten und Künstlern viele Quereinsteiger. Aber nur drei Prozent der Beschäftigten in Deutschland sind Berufswechsler. Experten sagen, dass Branchenfremde bei uns noch zu wenige Chancen bekommen. Thorsten Martin setzt auf Jobwechsler. 'Das Thema Quereinstieg ist in der IT auch wegen des akuten Fachkräftemangels durchaus angekommen', erläutert der Niederlassungsleiter bei bükotec in Salach. Im Team des IT-Dienstleisters mit vier Standorten, darunter Altdorf und Salach, arbeiten unter 30 Mitarbeitern einige Branchenfremde, die ihre Kenntnisse in die Gruppe einbringen. Gemeinsam mit dem Spezialwissen von Systemkaufleuten und Systemtechnikern ergeben sich Synergieeffekte.

 

So wird ein gelernter Logistiker immer dann zurate gezogen, wenn es um Warenflüsse geht. Gerade bei Großkunden ein Vorteil, wenn palettenweise Ware angeliefert wird. 'Dazu kommt, dass der Kollege für die Baubranche tätig war. Dort geht es oft heiß her, und die Leute müssen was aushalten können', sagt Martin. Weil er außerdem schnell einen Draht zum Kunden aufbaut, sei er ein erfolgreicher Außendienstler bei bükotec. Eine ausgebildete Altenpflegerin bringt nicht nur hohe soziale Kompetenz ins Team, sie hebt sich auch positiv vom gängigen Frauenbild in der IT-Branche ab. 'Oftmals werden Mitarbeiterinnen im Innendienst als distanziert wahrgenommen. Wir brauchten aber jemanden, der dem Kunden ein gutes Gefühl gibt', so Martin. 'Wir brauchen Menschen und keine Fachidioten', sagt Martin.

Umdenken muss geschaffen werden

Letztlich mache bei bükotec die Mischung den Erfolg aus. Das ist die Firmenphilosophie, die vom Firmengründer Michael Illig genauso getragen wird wie von seinem Vertriebschef Thorsten Martin. Ohne Expertise ginge es beim Salacher Unternehmen auch nicht, deshalb achten die ITler darauf, wer ins Team passt. 'Zwar haben wir bei einer inhomogenen Gruppe auch erhöhten Abstimmungsbedarf, aber insgesamt rechnet sich unser Konzept', weiß der Chef von 14 Vertriebsmitarbeitern. 'Wenn wir nicht wollen, dass die Innovation in Deutschland ausgebremst wird, müssen wir in den Köpfen der Unternehmer und Personaler Quer- und Umdenken schaffen', fordert die Autorin Sylvia Knecht.

Die 1,2 Millionen Berufswechsler in der Bundesrepublik könnten nach Ansicht der Personalexpertin den Fachkräftemangel lindern. Allerdings, beschreibt sie in ihrem Fachbuch 'Erfolgsfaktor Quereinsteiger', fehle das Umdenken der Einsteller. Denn Bewerber mit unkonventionellen Erwerbsbiografien werden oft vorzeitig aussortiert, auch wenn Engpässe an Bewerbern bestehen. In Deutschland fehle es den Arbeitgebern an Mut, Bewerber ohne Leistungsnachweise in der jeweiligen Branche zu beurteilen.

'Man könnte meinen, die Risikofreudigkeit deutscher Unternehmer hört an der Tür der Forschungs- und Entwicklungsabteilung auf', kritisiert Knecht und ergänzt: 'Die Experimentierfreude, die wir sonst in Deutschland kennen und die uns einzigartig mit ,made in Germany? gemacht hat, ist in den Personalabteilungen noch nicht flächendeckend angekommen.' Auch in den zahlreichen Förderprogrammen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels werde die Zielgruppe der Quereinsteiger bisher nicht berücksichtigt. Nach seiner Ausbildung hat sich Hubertus Vallendar rasch selbstständig gemacht. Aber nicht in seinem gelernten Beruf als Schreiner. Vor über 25 Jahren gründete er seine Brennerei im rheinland-pfälzischen Kail. Vallendar hatte durch seine Ausbildung einen handwerklichen Zugang zu den Destillierapparaten, die er selbst konzipiert hat. Fünf der zehn weltbesten Destillerien verwenden nach eigenen Angaben eine von ihm zusammengestellte Anlage.

Der Perfektionist mit der guten Nase

Dazu kam ein feiner Sinn für Aromen, den er seit der Kindheit trainiert. Vallendars Vater war selbst Hobbybrenner und brachte den Söhnen bei, was er wusste. Mit handwerklichem Geschick, Neugier und einer Leidenschaft für das Aroma entwickelt Vallendar heute edle und seltene Destillate. Der Perfektionist mit der guten Nase profitierte enorm vom ursprünglichen Beruf als Schreiner. Heute vereint er das Beste aus zwei Welten: das handwerkliche Geschick, dank dem er die Technik hinter dem Brennen versteht, und den geschulten Geschmackssinn, dank dem er die Aromen aus den Ausgangsstoffen filtriert.

In seinem Sortiment finden sich Obstbrände und -geiste etwa aus Weinbergpfirsich, Zitrusfrüchten oder Beeren. Natürlich gibt es bei ihm auch den Klassiker Williams Christ. Aber immer wieder verarbeitet Vallendar Ungewöhnliches. So entstand etwa sein Spargelgeist, den Gastronomen gerne auf die Saisonkarte nehmen. Quereinsteiger überzeugten durch neue Denkansätze, Motivation und Eigeninitiative, ist sich die Spezialistin für Employer Branding, Sylvia Knecht, sicher. 'Wer bereit ist, sich auf Unbekanntes einzulassen, wird mit Quereinsteigern im Recruiting interessante neue und innovative Mitarbeiter finden', lautet deshalb die Empfehlung der promovierten Politologin.