Offiziell will Stuttgart fahradfreundlicher werden. Was die Stadtmitte betrifft, beklagt der Radverein ADFC das Gegenteil. Die Hürden für Radler würden eher auf- statt abgebaut.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Dass der Radweg mit einer Treppe beginnt, ist der Topografie Stuttgarts geschuldet. Aber dann: 50 Meter weiter übersehen Autofahrer die Radlerin, die auf die Olgastraße einbiegen will, weil dort der Bus hält. Gleich danach versuchen Eilige, im Kreisverkehr zu überholen. Wer dem Hupen zum Trotz nicht stur in der Mitte radelt, wird abgedrängt und muss anhalten. Danach verläuft ein Radweg links der Straße, den bergab niemand nutzt, weil er nach zwanzig Sekunden Fahrt wieder auf die rechte Seite schwenkt. Am Wilhelmsplatz wäre der Gehweg breit genug, ist aber von Taxen oder Tischen verstellt. Nach der Kreuzung über die Hauptstätter Straße endet der Radweg ganz.

 

Auf etwa einem halben Kilometer Strecke „sind das fünf, sechs Gefahrenpunkte“, sagt die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. In der gesamten Innenstadt „enden Radwegstücke abrupt oder werden nicht frei gehalten“. Jener halbe Kilometer ist ihr täglicher Weg zur Arbeit.

Der ADFC beklagt, dass die Stadt radfeindlicher wird

Es ist nicht so, dass die Bezirksvorsteherin ihren Unmut über ihre persönliche Strecke beklagt. Die ist nur ein beliebiges von etlichen Beispielen. Weitere hat der Allgemeine deutsche Fahrradclub, der ADFC, in einem bissig formulierten Brief an die Stadt aufgelistet, in dem der Verein beklagt, dass Stuttgart in jüngster Vergangenheit nicht fahrradfreundlicher, sondern wieder fahrradfeindlicher geworden sei. Der Bezirksbeirat Mitte wandelte das Schreiben bereits im Dezember in eine Anfrage um. Bis heute fehlt die Antwort.

Ein paar Beispiele für des Radlers Ärgernisse im Stadtzentrum sind: Am Charlottenplatz sind vor zehn Jahre frei gegebene Wege wieder gesperrt worden. Die Reaktion auf die Bitte, irgendwie den Arnulf-Klett-Platz befahrbar zu machen, ist ein weiteres Verbotsschild. An der Kreuzung der Türlen- zur Heilbronner Straße ist ein Linksabbiege-Verbot für Radfahrer erlassen worden. Dies sei „nur der letzte Auslöser für diesen Brief“, schrieb der ADFC.

Zehn Jahre, nachdem im Rathaus eigens ein Zehn-Punkte-Plan zur Förderung des Radverkehrs beschlossen wurde, seien allenthalben neue Rückschritte zu beklagen, meinen die organisierten Radler. Immerhin hat der ADFC auf seinen Klagen eine Antwort bekommen. Sie ist noch vom Ex-Oberbürgermeister Wolfgang Schuster unterschrieben und „war ein nichtssagender Brief“, sagt Frank Zühlke vom Vorstand der ADFC-Ortsgruppe Stuttgart. Zusammengefasst schrieb Schuster dem Verein einen Dank für sein Engagement, verbunden mit der Feststellung, dass mehr Radfreundlichkeit unmöglich sei.

In Radlers Rangliste steht Stuttgart auf Platz 30 von 38

Dass die Radler-Klagen über die Landeshauptstadt kein Nörgeln weniger Verbohrter sind, wurde jüngst gewissermaßen offiziell festgestellt. In Berlin ist eine Rangliste der radfreundlichen Großstädte der Bundesrepublik vorgestellt worden, deren Grundlage eine Internet-Umfrage ist. Mit einer 4,23 auf der Schulnotenskala endete Stuttgart auf Platz 30 der Tabelle. Angesichts dessen, dass insgesamt 38 Städte untersucht wurden, gleicht das einem Abstiegsplatz.

Der „ist durchaus realistisch“, sagt Zühlke. „Es gibt gewisse Zusagen, aber es ist kein richtiger Schwung dahinter.“ Zwar beschäftigt die Stadt einen eigenen Fahrradbeauftragten im Rathaus, Claus Köhnlein. „Aber der hat mehr zu tun, als er erledigen kann“, meint Zühlke. „Es gibt nicht genug Personal, beim Ordnungsamt ist nicht einmal eine Person voll für den Fahrradverkehr zuständig.“ Sogar die Aufgabe aufzulisten, an welchen Ampeln Induktionsschleifen nicht auf Fahrräder reagieren, hätte gemäß Vorschlag aus dem Rathaus der ADFC übernehmen sollen.

Womöglich fehlt es nicht nur am Personal im Rathaus, sondern auch an der Gewichtung des Themas an der Rathausspitze. Ihren täglichen Radweg, sagt Kienzle, „bin ich mit Hahn, Schairer und Köhnlein abgelaufen“ – dem Bau-, dem Ordnungsbürgermeister und dem Fahrradbeauftragten. Geschehen ist nichts.