Intellektueller Mummenschanz: der Wahl-Stuttgarter Raphael Sbrzesny umkreist in dem Nachwuchsformat „Frischzelle“ des Kunstmuseums Macht und Medizin.

Stuttgart - Kaputte Füße, ein verwachsenes Organ und dazu noch Haarausfall. Dem König geht es nicht gut. Eigentlich ist er nur noch ein Gerippe unter seinem Hermelinmantel. Dennoch macht das Rot den morbiden Monarchen zur auffälligsten Gestalt in der Ausstellung. Neben den üblichen Insignien des Herrschertums umgibt Raphael Sbrzesny die royale Vogelscheuche mit den Bildern ihrer Krankheiten: hier die Röntgenaufnahmen der Gichtfüße, dort ein organischer Riesenknubbel und das Foto des schütteren Hinterhaupts.

 

Machttheorie und Medizingeschichte, verbunden mit künstlerischer Selbstreflexion, sind die Dinge, die der Wahlstuttgarter in seiner vielschichtigen Arbeit umkreist. Mit seinem Nachwuchsformat „Frischzelle“ bietet das Kunstmuseum Sbrzesny nun erstmals die Gelegenheit, sein konzeptuelles Denken im Rahmen einer institutionellen Einzelschau vorzustellen. Und die ist in ihrer intellektuellen Überkomplexität ein eher hartleibiges Vergnügen. Sbrzesny, 1985 in Oberndorf a.N. geboren, hat schon allerhand vorzuweisen: Kunststudium bei Christian Jankowski und Olaf Nicolai, dazu eine klassisch-musikalische Ausbildung und eine Karriere als Drummer der Indie-Rock-Band Parka.

Trommeln in der Reithalle

Sein Schnittstellentalent zeigt vor allem in der Videoarbeit „L’histoire du soldat“, die auf ein gleichnamiges Werk des Komponisten Igor Strawinsky zurückgreift. Sbrzesny freilich erzählt in seiner „Soldatengeschichte“ von der Kunst des Reiterstandbilds, wobei er dessen militärisch-imperiale Tradition gegen den Strich bürstet. Mit einem kompletten Schlagzeug gerüstet steigt der Künstler aufs Pferd, um im Sattel sitzend eine verkürzte Version von Strawinskys Stück durch die leere Reithalle zu trommeln.

Stets gehen den Projekten umfangreiche historische Recherchen voran. So rekonstruiert Sbrzesny nach barocker Vorlage eine bewegliche Bühnenmaschinerie und schmückt diese mit Bildfunden aus dem Internet. Oder er begibt sich auf die Spuren des Stuttgarter Nervenarztes, Filmemachers und Kunstsammlers Ottomar Domnick. Nicht nur, indem er dessen Sprechzimmer nachbaut, sondern auch durch die Präsentation zweifelhafter Gerätschaften aus der Geschichte der Psychiatrie. Beispielsweise eine Hängematte zur Fixierung von Kranken oder ein drehbarer Käfig, um allzu Apathische zu mobilisieren.

Mit insgesamt neunzehn, teils raumfüllenden Arbeiten ist diese „Frischzelle“ eine der umfangreichsten seit Beginn der Reihe vor zehn Jahren. Leider gelingt es dem Kurator Daniel Milnes nicht, die unterschiedlichen Ideenfäden zu einem festen Thesenstrang zu verweben. Letztlich diffus bleibt auch die Figur des „Interpreten“, die das Ganze als inhaltlich-erzählerischer Rahmen überspannen soll.

Maskottchen der Persönlichkeitsspaltung

Angelegt ist dieser „Interpret“ als eine gespaltene Persönlichkeit. So hat sich bezeichnenderweise auch der Psychiater Domnick inszeniert. Spielt er doch in einem Film, den Sbrzesny ausgegraben hat, den Arzt, der sich selbst als Patient gegenübersitzt. Und auch der Künstler schlüpft gern in die Masken anderer Geistesgrößen, posiert mal als Strawinsky, dann als Rainer Maria Rilke. Also wieder mal alles schizo?

Dem sich zerteilenden Ich stellt Sbrzesny sogar eine Art Maskottchen zur Seite. Es heißt Eumel, lauert unter der Treppe und sieht auf den ersten Blick aus wie Pinocchio, vereinigt aber die Züge des Philosophen Walter Benjamin mit denen des Lyrikers Charles Baudelaire.

An ein Bonmot von Letzterem wird sich bei dieser verkopften Ausstellung wahrscheinlich mancher Besucher erinnert fühlen: „Kürze erfordert immer mehr Mühe als Weitschweifigkeit.“

Bis 8. Mai, Di – So 10 bis 18 Uhr, Fr bis 21 Uhr