Der Börsencrash bleibt nach der Wahl in Großbritannien aus, weil Anleger auf eine gute Lösung für die Trennung zwischen Großbritannien und der EU hoffen. Nach der Wahlniederlage der Konservativen hofft die Wirtschaft auf eine möglichst schnelle Regierungsbildung.

Frankfurt - Die Briten lieben Wetten. In den Wettbüros auf der Insel ging es daher am Freitag wieder hoch her. Nach der Wahlschlappe für die bisherige Regierungschefin Theresa May darf jetzt wieder darüber spekuliert werden, ob der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, der Brexit, überhaupt noch stattfindet oder zumindest nicht so extrem ausfällt, wie die Regierung es bisher angestrebt hat. Der harte Brexit sei abgewählt worden, hieß es bei den Analysten. „Damit ist eine Einigung mit der EU auf längere Sicht wahrscheinlicher geworden. Deshalb halten sich die Verluste des britischen Pfunds in Grenzen“, kommentierte die Commerzbank. Zwar rutschte das Pfund Sterling am Freitag um bis zu 2,4 Prozent auf ein Zwei-Monats-Tief von 1,2635 Dollar ab. Gegenüber dem Absturz um elf Prozent im Juni 2016, als die Briten mehrheitlich für den Austritt gestimmt hatten, war das aber eher moderat. Nach Einschätzung von Analysten ist daher auch noch nicht klar, in welche Richtung es für die britische Währung in den nächsten Tagen gehen wird. Sollte es klare Anzeichen dafür geben, dass die Trennung zwischen England und der EU mild ausfallen wird, könnte der Kurs des Pfundes sogar wieder steigen, meinen Devisenexperten. Dazu aber müsste erst einmal eine neue Regierung gebildet werden, meinen die Experten der Commerzbank.

 

Londoner Auswahlindex „Footsie“ legte um bis zu 1,3 Prozent zu

An den Aktienmärkten wurde die Variante eines „weichen“ Brexits bereits gefeiert, der erwartete Crash blieb aus. An vielen europäischen Börsen ging die Rekordjagd weiter, fast überall standen die Zeichen auf Einigkeit. Der deutsche Leitindex Dax und das europäische Börsenbarometer Euro-Stoxx 50 lagen am Nachmittag zumindest leicht im Plus. Der Londoner Auswahlindex Footsie legte um bis zu 1,3 Prozent zu und war zeitweise nur noch etwa 50 Zähler von seinem Rekordhoch entfernt.

Wirtschaftsvertreter rechnen mit steigenden Unsicherheiten für deutsche Unternehmen, die eng mit den britischen Firmen verbunden sind. „Großbritannien wird einen hohen wirtschaftlichen Preis für die Brexit-Entscheidung zahlen, welcher sich durch die Wahlen weiter vergrößern wird“, sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Analysten hoffen darauf, dass möglichst schnell Klarheit über den weiteren politischen Kurs herrscht. „Für den Investitionsstandort Großbritannien ist dieses Wahlergebnis ein Katalysator für Zurückhaltung.“ Großbritannien ist für Deutschland der drittgrößte Exportmarkt.

Brexit-Verhandlungen könnten sich verzögern

Einig waren sich alle Verbände, dass der Verlust der absoluten Mehrheit für die Konservativen die anstehenden Brexit-Verhandlungen beeinflussen und verzögern könnte. Der Bankenverband BdB äußerte zugleich allerdings die Hoffnung, dass diese Verhandlungen nun „mit mehr Vernunft und Sachlichkeit geführt werden können“.

Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sorgt sich wegen einer drohenden längeren Phase der Unsicherheit. „Unsere Wirtschaft braucht schnellstmöglich Perspektiven dazu, wie sich die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU gestalten werden – gerade auch im Bereich des Außenhandels und der Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt“, sagte sie. Der Präsident von Baden-Württembergs Industrie- und Handelskammertag, Wolfgang Grenke, äußerte unterdessen die Hoffnung, dass die Briten doch noch in der EU bleiben könnten. „Wünschenswert für die Wirtschaft wäre aus meiner Sicht ein Ausstieg aus dem Ausstieg“, sagte er und verwies auf negative Folgen für die britische Wirtschaft durch das Brexit-Votum 2016. Der anstehende Austritt des Landes aus der EU hatte bereits in den vergangenen Monaten eine Eintrübung des Warenaustausches zwischen beiden Ländern verursacht. Nach einem Minus von knapp zehn Prozent im Schlussquartal 2016 sind im ersten Quartal 2017 die deutschen Ausfuhren nach Großbritannien um weitere knapp drei Prozent zurückgegangen – während zugleich die Ausfuhren in die EU um fast sieben Prozent zulegten.