Ende des Jahres laufen die Urheberrechte für Hitlers Buch „Mein Kampf“ aus. Der Freistaat Bayern hat diese als Rechtsnachfolger des national­sozialistischen Frank-Eher-Verlags inne.

Stuttgart - In seinem Buch über Adolf Hitler als Künstler und Feldherr zeigt sich der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta verwundert darüber, dass Hitler überhaupt ein Buch geschrieben hat. Sein Bemühen, die Massen zu erreichen, war das gesprochene Wort, die Rede. Dass er „Mein Kampf“ schrieb, lag an besonderen Umständen. Ohne die Festungshaft, zu der Hitler nach dem Münchner Aufstand von 1923 verurteilt wurde, wäre das Buch nie entstanden. Er hatte nun Zeit, musste vor allem aber sich einer im Zerfall begriffenen NSDAP als überlegener Führer präsentieren und der Partei die Richtung vorgeben.

 

Hitler selbst hielt nicht viel von seinem Werk. Ende 1931 räumte er ein: „Wenn ich es heute schreiben würde, würde vieles anders lauten.“ Und zehn Jahre später bekannte er: „Ich kann Sachen, die ich vor zehn Jahren geschrieben habe, gar nicht mehr lesen.“ Obwohl in einem miserablen Stil geschrieben, ist „Mein Kampf“ das Konkreteste, was Hitler hinterlassen hat, und beschäftigt noch immer die Deutschen – jetzt auch im Theater. Beim Kunstfest in Weimar zeigt die Gruppe Rimini-Protokoll an diesem Donnerstag erstmals ihr Dokumentarprojekt „Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2“.

Zu diesem Bühnenprojekt kommt es nicht zuletzt deshalb, weil Ende des Jahres die Urheberrechte für das Buch auslaufen. Der Freistaat Bayern hat diese als Rechtsnachfolger des nationalsozialistischen Frank-Eher-Verlags inne. Vor drei Jahren hatte sich der bayerische Landtag darauf verständigt, eine Edition von „Mein Kampf“ unter der Verantwortung des Instituts für Zeitgeschichte voranzutreiben. Mit einer halben Million Euro sollte das Projekt gefördert werden. Doch Horst Seehofer zog dieses Angebot zurück, nachdem er auf einer Israel-Reise auf erbitterte Reaktionen gestoßen war. Auf Drängen Bayerns beschloss die Konferenz der Justizminister, den Neudruck des Werks auch weiterhin zu verbieten – mit Ausnahme eben der wissenschaftlichen Edition, die unter Umständen aber auch noch einer juristischen Prüfung standhalten muss. Damit hat die bayrische Staatsregierung den Historikern des Instituts für Zeitgeschichte unlängst gedroht.

Der Kommentar umfasst an die 2000 Seiten

Der Verfolgungseifer überrascht, denn der Besitz oder antiquarische Erwerb des Buchs ist erlaubt und im Internet leicht zu finden. Zudem sind die Bedenken unberechtigt, um nicht zu sagen albern, denn das Institut arbeitet mit Hochdruck an einer Ausgabe, die Hitlers Text mit ausführlichen Kommentaren versieht. Diese umfassen an die 2000 Seiten. Jeweils auf einer Doppelseite wird der Originaltext nach den Erstausgaben von 1925 und 1926 stehen und die Kommentierung daneben. Das ist eine mühsame Aufgabe, denn Hitler hat keine Quellen angegeben. Sein Buch ist ein Sammelsurium aus Vorurteilen, Verschwörungstheorien, Allmachtsfantasien und purem Hass. Dennoch oder gerade deswegen hat das Buch eine breite Wirkung entfaltet. Um dieser Wirkung nachzuspüren, wollen die Münchner Historiker den geistigen Hintergrund der Hetzschrift sezieren. Da wird nachgewiesen, aus welchen Schriften Hitler sich bedient hat und was von seinen Argumenten zu halten ist – eine sinnvolle Aufgabe, auch wenn das Satiremagazin „Titanic“ spottete, es genüge, hinter Hitlers Worte den Begriff „Quatsch“ zu setzen.

Wir wissen, dass Hitler in seiner Landsberger Zelle eine Bibliothek angelegt hat, aber wir wissen nicht, welche Schriften sie enthielt. Besucher erinnern sich allenfalls an das antisemitische Pamphlet des Wagner-Freundes Houston Stewart Chamberlain oder die Hetzschrift des amerikanischen Autokönigs Henry Ford. All das mag heute weitgehend vergessen sein, aber die Münchner Historiker sagen: „Man muss die eigene Verführbarkeit immer im Hinterkopf haben“ – und tatsächlich findet die Polizei in den Wohnungen von Neonazis neben Hakenkreuzfahnen nicht selten eine Ausgabe von „Mein Kampf“.

Wie man es dreht und wendet, ob man es dämonisiert oder verharmlost, die Deutschen werden das Buch nicht los. Tatsächlich ist „Mein Kampf“ die mit Abstand wichtigste Quelle Hitlers. Hier zeigte er am klarsten, wer er war und was er wollte. Geradezu erschreckend ist auch heute noch seine Offenheit: Er offenbart seine taktischen und rhetorischen Tricks, er betont, dass er von seinen Anhängern Unterordnung und Opfer erwartet, und er macht klar, dass er mit den Juden kein Erbarmen kennt. Vor allem aber enthält das Buch seinen Plan zur Machtübernahme: „Wenn endlich Popularität, Tradition und Kraft sich verbinden, darf eine Autorität als unerschütterlich betrachtet werden.“

Hitler tippte den Text selbst mit Zwei-Finger-System

Im Juli 1924 erfuhr die Öffentlichkeit erstmals, dass Hitler im Begriff war, ein Buch zu schreiben. Die Idee dazu hatte der NS-Verleger Max Amann. Die Gefängnisleitung stellte Hitler eine Schreibmaschine und Papier zur Verfügung. Er tippte den Text selbst nach dem Zwei-Finger-System. Was als reine Rechtfertigungsschrift konzipiert war, sollte nun um autobiografische Elemente erweitert werden. Hier hat Hitler seine Äußerungen über seine Jugendjahre in hohem Maße stilisiert. Er wollte die Spuren seiner Linzer und Wiener Jahre verwischen und „Mein Kampf“ zur einzig autorisierten Quelle für die Darstellung seiner frühen Jahre machen.

Der erste Teil erschien mit Verzögerung, denn der Eher-Verlag war überschuldet. Erst Ende 1926 erschien auch der zweite Teil, den Hitler auf dem Obersalzberg vollendet hatte. Der Absatz verlief schleppend, was auch am hohen Preis lag. Jeder Teil kostete zwölf Reichsmark. Erst nach der für die NSDAP erfolgreichen Wahl von 1930 setzte der Bucherfolg ein. Vor allem die preiswerte „Volksausgabe“, die beide Teile umfasste, erwies sich als Verkaufsschlager. Nach der Machtübernahme 1933 schnellte die Auflage noch einmal in die Höhe. In den Bibliotheken und Schulen wurde die Anschaffung des Werks zur Pflicht, und seit 1936 mussten die Standesbeamten den frisch getrauten Paaren ein Exemplar überreichen. Im Krieg kam dann eine Dünndruckausgabe für Soldaten heraus. Ende des Kriegs belief sich die Gesamtauflage auf 12,45 Millionen Exemplare. Hitler war zu einem reichen Mann geworden.


Ob die Deutschen das Buch ernst genommen oder gar nicht gelesen haben, ist eine bis heute diskutierte Frage. Letzteres hat man lange angenommen, aber heute sagen die Forscher, das Buch sei ein Mythos, der sich nach 1945 in die Rechtfertigungsstrategien der frühen Nachkriegsjahre einfügte. Die hohen Auflagen sprechen jedenfalls dagegen, dass man das Buch nur in den Bücherschrank stellte. 1925 schrieb die liberale „Frankfurter Zeitung“: „Nach diesem Selbstbekenntnis ist Hitler erledigt.“ Und in der „Weltbühne“ stand 1932: „Wer Hitlers Buch gelesen hat, wird sich mit Entsetzen fragen, wie ein solch sadistischer Oberkonfusionsrat zum Führer eines starken Drittels der Deutschen aufsteigen konnte.“ Doch Winston Churchill, der Hitler früh schon beobachtet hatte, hielt die Missachtung des Buchs für einen gefährlichen Irrtum: Zwar sei es „schrullig, langatmig und formlos“, aber hier formuliere Hitler offener als in seinen Reden seine Verschwörungstheorien und Kriegsziele.

Zu diesen Zielen gehörte die Eroberung von „Lebensraum“. Der von Hitler faszinierte Rudolf Hess, der mit ihm in Landsberg einsaß, machte ihn mit den Ideen des Geopolitikers Karl Haushofer bekannt, der deutsche Ansprüche auf Gebiete im Osten geltend machte. Vielleicht hielten viele Deutsche dies für wolkige Worte, aber Hitler war es bitterernst damit, und er hielt bis zum Untergang daran fest.

Russland war für ihn der Ort, an dem der „jüdische Bolschewismus“ regierte: „Das Ende der Judenherrschaft in Russland wird auch das Ende Russlands als Staat sein“, schrieb er. Ohnehin ließ der Inhalt des Buchs keinen Zweifel daran, dass Hitler im Kampf der Rassen (nicht der Klassen) den Motor, ja das Wesen der Geschichte erblickte und die Juden als Hauptfeind der germanischen Rasse ansah. Sie zu bekämpfen bezeichnete er als seine wichtigste politische Mission. Insoweit wollte er sogar stellvertretend für alle Völker handeln.