Freiwillige Feuerwehrleute allein können die Brände in größeren Kommunen nicht mehr löschen. In Böblingen und Sindelfingen wird deshalb über mehr Hauptamtliche diskutiert – und einen neuen Standort auf dem Flugfeld.

Böblingen/Sindelfingen - Manche Feuerwehrleute müssen morgens nur vor die Tür treten und stehen praktisch schon an ihrem Arbeitsplatz. Denn zur Sindelfinger Feuerwache gehören sechs eigene Wohnungen. Auch wenn der Alarm nachts schrillt, haben es die Löschspezialisten nicht weit von ihrem Bett bis zum Löschwagen. Manchmal werden sie nachts drei- bis viermal aus den Federn geklingelt. Doch trotz dieser Infrastruktur stehen die Feuerwehrleute vor großen Herausforderungen – nicht nur in Sindelfingen, sondern auch in der Nachbarstadt Böblingen.

 

Denn die Brandbekämpfung ruht in den beiden Städten vor allem auf den Schultern von Freiwilligen. Viele Feuerwehrleute wohnen zwar in Böblingen und Sindelfingen, arbeiten aber woanders. Oder ihr Arbeitgeber hält sie für unabkömmlich am Fließband, im Labor oder im Büro und lässt sie während der Arbeitszeit nicht ausrücken, obwohl das gesetzlich vorgeschrieben ist. Zehn Minuten nach der Alarmierung muss der erste Löschzug an einem Brandort eintreffen – diese Forderung wird zunehmend zum Problem.

Gutachter schlagen neuen Standort auf dem Flugfeld vor

Böblingen und Sindelfingen haben deshalb Anfang des Jahres 2013 Gutachten bei einem Experten für Sicherheitsberatung in Auftrag gegeben, der Firma Luelf & Rinke. Nach vielen Erhebungen, Analysen und Gesprächen liegen jetzt die Entwürfe für beide Nachbarstädte vor.

Eines der wichtigsten Themen darin ist die Zusammenarbeit zwischen Böblingen und Sindelfingen. Bei den Feuerwehren ist sie heute schon sehr eng. Doch wenn es nach den Gutachtern geht, könnte sie noch enger werden: ein zusätzlicher, gemeinsamer Standort auf dem Flugfeld könnte dafür sorgen, dass bei Bränden auf dem Flugfeld, im Einkaufszentrum Mercaden oder am Böblinger Bahnhof die Einsatzkräfte schneller vor Ort sind.

Das frühere Flugfeld grenzt sowohl an das Böblinger Gewerbegebiet Hulb, an den Sindelfinger Standort des Autokonzerns Daimler, der allerdings eine eigene Werksfeuerwehr hat, und an Böblingen. Auf dem Flugfeld selbst sind in den vergangenen Jahren Tausende von Wohnungen entstanden. Außerdem hat die Untersuchung der Gutachter ergeben, dass relativ viele freiwillige Feuerwehrleute unweit des Flugfeldes wohnen – sowohl auf Sindelfinger als auch auf Böblinger Seite. „Dass dieser Standort aufgeworfen wurde, liegt auf der Hand“, sagt der Böblinger Oberbürgermeister Wolfgang Lützner. Wenn man sich die beiden Nachbarstädte auf einem Luftbild ansieht, liegt das Flugfeld genau in der Mitte.

Städte müssten kürzlich erbaute Feuerwachen aufgeben

Doch es gibt auch gewichtige Einwände gegen den Standort: sowohl Böblingen als auch Sindelfingen haben vor wenigen Jahren gut ausgestattete Feuerwachen gebaut, von denen die meisten Wohngebiete der beiden Städte innerhalb weniger Minuten zu erreichen sind. In Böblingen ist außerdem die Notrufzentrale für den Landkreis Böblingen untergebracht, wo jeden Tag bis zu 1000 Anrufe entgegengenommen und jährlich bis zu 70 000 Einsätze koordiniert werden. Auch diese Leitstelle braucht eigene Räume.

Ein Neubau, der all diese Funktionen unterbringt, würde wohl viele Millionen Euro kosten. „Eine neue Feuerwache wäre für beide Seiten wirtschaftlich unsinnig“, sagt deshalb der Böblinger OB. Vorstellbar sei es höchstens, eine Garage zu mieten, in der man einige Fahrzeuge unterstellen könnte. Doch die Entscheidung in dieser Frage liegt bei den Gemeinderäten der beiden Städte. Diese sollen noch im Herbst über die Gutachten beraten – am besten gleichzeitig.

Freiwillige Feuerwehrleute sollen nicht verdrängt werden

Viel konkreter als die Diskussion um einen möglichen neuen Standort ist die Einstellung neuer, hauptamtlicher Feuerwehrleute. Bislang sind in Baden-Württemberg nur Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern verpflichtet, komplette Einsatzabteilungen mit bezahlten Rettungskräften zu beschäftigen. Doch auch in kleineren Kommunen ist deren Zahl in den vergangenen Jahren gewachsen: In Sindelfingen sind es inzwischen neun Mitarbeiter, zwei weitere werden demnächst eingestellt. In Böblingen sind es sogar zwölf Hauptamtliche – weil sie aber auch rund um die Uhr die Notrufzentrale besetzen müssen, können bei Weitem nicht alle immer zu Einsätzen ausrücken.

Trotzdem können diese Hauptamtlichen nur die bislang besonders kritischen Zeiten abdecken, wenn viele freiwillige Feuerwehrleute an ihren Arbeitsplätzen sind. Nachts und an den Wochenenden werden die Ehrenamtlichen weiterhin dringend gebraucht – schon allein, weil es enorme Mehrkosten verursachen würde, rund um die Uhr Hauptamtliche ausrücken zu lassen.

„Unsere Devise lautet deshalb: so viele freiwillige Feuerwehrleute wie möglich und nur so viele Hauptamtliche wie nötig“, sagt der Sindelfinger Stadtbrandmeister Wolfgang Finkbeiner. „Die Ehrenamtlichen dürfen auf keinen Fall verdrängt werden“, fordert er. Finkbeiner kennt deren Bedeutung genau: auch in den sechs Wohnungen nahe der Sindelfinger Feuerwache wohnen nur zwei Hauptamtliche. Daneben sind es vier Freiwillige, die nachts aus dem Schlaf gerissen werden, um Feuer zu bekämpfen.

Chronik der schlimmsten Brände in Böblingen und Sindelfingen

Die Feuerwehren in Böblingen und Sindelfingen sind vor eine Belastungsprobe gestellt worden: ungewöhnlich viele Großbrände haben die Kapazitäten der Helfer beansprucht. Menschen wurden verletzt, die Schadenssummen gingen in die Millionen. Bis heute sind die Ursachen nicht geklärt.

Feuer in Altstadt durch Brandstiftung?

Altstadtbrand Im Innenhof eines Mehrfamilienhauses in der Sindelfinger Altstadt brach in der Nacht vor dem 20. Juli dieses Jahres ein Feuer aus. Eine Anwohnerin, die ihre Nachbarn aus dem Bett geklingelt hatte, erlitt eine Rauchvergiftung – ebenso ein Schaulustiger. Alle anderen Bewohner des Hauses in der Grabenstraße konnten sich unverletzt retten. Der Ausbruch des Feuers im Innenhof deutet auf Brandstiftung als Ursache hin, weil es hier kaum Möglichkeiten für technische Defekte gibt. Ob aber ein 49-jähriger Mann, der vor einer Woche in Sindelfingen wegen mehrfacher Brandstiftung verhaftet wurde, auch die Schuld am Feuer in der Altstadt trägt, ist noch unklar.

Feuerwehrleute müssen Langen See anzapfen

Im Dunkeln liegt auch der Grund, warum am 11. Juni 2014 ein Großbrand im Böblinger Gewerbegebiet Hulb tobte. Dabei brannten zwei Lagerhallen des Badausstatters Reisser ab. Ein Mitarbeiter, der die Flammen bekämpfen wollte, erlitt ebenso eine Rauchvergiftung wie zwei Feuerwehrleute. Die Löschmannschaften mussten den Langen See auf dem Flugfeld anzapfen, um genügend Wasser zur Verfügung zu haben. Wegen der Zerstörungen, die das Feuer angerichtet hatte, versuchten Brandexperten vergeblich den Grund des Feuers herauszufinden.

85-Jähriger stürzt vom Balkon in den Tod

Zu einem besonders tragischer Brand kam es am 16. Mai 2014 in einem Sindelfinger Hochhaus. Dort brach in einer Wohnung im 16. Stock ein Feuer aus; ein 85-jähriger Mann wurde von den Flammen eingeschlossen und rettete sich mit schweren Brandverletzungen auf den Balkon. Ein Rettungsteam der Feuerwehr sollte die Tür einschlagen und sich bis zum Mann vorkämpfen. Doch die extreme Hitze ließ die Helmvisiere schmelzen und verhinderte eine rasche Rettung. Die extreme Höhe verhinderte zudem eine Rettung mithilfe eines Sprungtuches oder -polsters; bis zum 16. Stock reicht auch kein Feuerwehrkran. In Panik versuchte der Mann, über einen schmalen Sims zum Nachbarbalkon zu gelangen, dabei stürzte er in den Tod. Eine Feuerwand hatte verhindert, dass der Mann ins sichere Treppenhaus flüchten konnte. Auch die Ursache dieses Brandes ist bis heute ungeklärt.