Mit den Leitlinien der grün-roten Koalition verspricht Ministerpräsident Kretschmann eine ökologisch-soziale Erneuerung des Landes.

Stuttgart - Einen Politikwechsel hat der neue Regierungschef Winfried Kretschmann dem Land verordnet. Die grün-rote Koalition sehe sich als „Bürgerregierung“, die den Dialog mit den Bürgern suchen werde. Das Leitmotiv des künftigen Regierungshandelns sei Nachhaltigkeit in allen Bereichen. Grün-Rot stehe für eine neue Gründerzeit – „als Weg, als Navigationsspur zu den Arbeitsplätzen der kommenden Jahrzehnte“. Ein Durchgang durch Kretschmanns Regierungsprogramm in Zitaten.

 

„Verantwortung für Nachhaltigkeit schließt Erfolg durch Nachhaltigkeit nicht aus.“

Die ökologische und soziale Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist eine der zentralen Aufgaben der künftigen Regierung. Kretschmann will zeigen, dass Ökologie und Ökonomie keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig bereichern. Sein Ziel ist, Baden-Württemberg in Deutschland zum Modell ökologisch orientierten Wirtschaftens zu machen. Für Kretschmann beginnt Klimaschutz vor Ort – deshalb soll es verbindliche Vorgaben geben, die die Neuausrichtung der Energie- und Klimapolitik erleichtern, etwa die Novellierung des Landesplanungsgesetzes, um die Blockaden bei der Windkraft zu beseitigen. Sollte die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nicht zurücknehmen, werde sich das Land der Klage anderer Bundesländer anschließen. Er setze sich für einen „beschleunigten Atomausstieg“ ein, die acht ältesten AKW, darunter NeckarwestheimI und PhilippsburgI, müssten endgültig vom Netz genommen werden.

„Gleichberechtigter Zugang zur Bildung.“

Mit dem Ausbau der frühkindlichen Bildung, einer „qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung“ und Rahmenbedingungen für ein sozial gerechtes Schulsystem werde die neue Regierung endlich jenen Auftrag erfüllen, der schon lange in der Landesverfassung als verbrieftes Recht verankert ist, betonte der Ministerpräsident. Die soziale Herkunft solle nicht mehr länger über den Bildungserfolg entscheiden. Konkret soll der Orientierungsplan in allen Kitas verbindlich werden, die Sprachförderung müsse ausgebaut, der Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren „ohne Wenn und Aber“ umgesetzt werden. Dazu wolle man einen Pakt mit den Kommunen schmieden. Geplant ist, die Gemeinschaftsschulen im Schulgesetz zu verankern, und die Studiengebühren zum Sommersemester 2012 abzuschaffen.

„Musterland guter Arbeit“

Grün-Rot werde sich dafür einsetzen, dass das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durchgesetzt wird, die Auswüchse der Leiharbeit sollen bekämpft werden. Auf Bundesebene werde Kretschmann Initiativen zur Festlegung von Mindestlöhnen unterstützen. Der Ministerpräsident will mit der Wirtschaft eine „Allianz für Fachkräfte“ schmieden. „Gute Arbeit“ heißt für ihn auch „Solidarität mit den Schwächeren“. Er kündigte zeitnah einen Entwurf für ein Tariftreuegesetz an. Darin sollen alle Anbieter bei öffentlichen Aufträgen des Landes und der Kommunen verpflichtet werden, die Tariflöhne einzuhalten.

„Möglichkeiten der politischen Gestaltung“

Eine nachhaltige Finanzpolitik ist für Kretschmann die Grundlage von wirtschaftlicher Zukunftsverantwortung und Generationengerechtigkeit. Ein Kassensturz noch vor der Sommerpause soll ein „umfasssendes und ungeschminktes Bild der Landesfinanzen“ ergeben und den Schuldenberg samt seinen „verdeckten und verschobenen Lasten“ der CDU-Regierung aufzeigen. Die zu erwartenden Steuermehreinnahmen sollen vorrangig zur Konsolidierung des Haushalts verwendet werden. Dennoch werde in Schlüsselbereiche wie frühkindliche Bildung, Schule, Hochschule, Forschung und Gesundheit investiert. Die Landesregierung werde es nicht zulassen, dass „wichtige Zukunftsthemen der Nachfinanzierung von Altlasten der CDU-Regierungszeit zum Opfer fallen“. Kretschmann kündigte einen Nachtragshaushalt an, mit dem erste Akzente gesetzt werden sollen.

Konkret soll zur Finanzierung der Kinderbetreuung und frühkindlichen Bildung die Grunderwerbsteuer von 3,5 auf fünf Prozent angehoben werden. Dies sei eine Steuererhöhung, „die einen guten Zweck erfüllt und dem Gemeinwohl dient“, betonte Kretschmann. Diejenigen, die profitierten – die Familien durch bessere Vereinbarkeit mit dem Beruf und die Wirtschaft durch langfristig verbessertes Fachkräfteangebot – sollten zu einem Beitrag verpflichtet werden.

„Bürgerinnen und Bürger sollen Gehör finden.“

Das Konzept der nachhaltigen Politik will Grün-Rot dem Land nicht einfach überstülpen. Vielmehr soll der Dialog mit den Bürgern gesucht werden. Kretschmanns Credo: Die Demokratie ist nicht bedroht, wenn Menschen sich einmischen, sondern wenn sie sich abwenden von den öffentlichen Angelegenheiten. Als erster Schritt werde ein Leitfaden für eine neue Planungs- und Beteiligungskultur erarbeitet, in einem umfassenden Informationsfreiheitsgesetz sollen Bürger „grundsätzlich freien Zugang zu Informationen der öffentlichen Verwaltung“ erhalten. Die Hürden für Volksbegehren und Volksabstimmungen wie für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene sollen gesenkt und auf Landkreisebene ausgedehnt werden. Landräte sollen künftig direkt gewählt werden.


Periode: Als Gründerzeit wird die Industrialisierungsphase in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert bis zum großen Börsenkrach von 1873 bezeichnet. Die Periode gipfelte in einem vorher nicht gekannten Boom. Ganze Stadtviertel wurden in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft. Ein entscheidender Faktor für die Entwicklung war der Eisenbahnbau.

Schlagwort: Der Begriff geistert immer wieder durch die politische Debatte. 2005 versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Blick auf das Ziel der Vollbeschäftigung: „Wir können eine zweite Gründerzeit schaffen.“ Zuletzt sah der damalige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee bei der Unterzeichnung der Stuttgart-21-Verträge im April 2009 auf die Stadt eine neue Gründerzeit zukommen.