Die meisten größeren Städte haben eine Stadtbahn, Reutlingen und Tübingen haben sie nicht. Das kann sich mit der Regionalstadtbahn Neckar-Alb ändern, sofern alsbald Beschlüsse gefasst werden.

Münsingen - Viele Stadtbahnprojekte sind im Land erfolgreich umgesetzt worden, doch eines fehlt noch – die Regionalstadtbahn Neckar-Alb als Verbindung der Innenstädte von Tübingen und Reutlingen mit dem Umland bis Balingen und Albstadt. Ohne umzusteigen sollen Arbeitnehmer, Schüler oder Patienten Arbeitsplätze, Schulen und das Tübinger Universitätsklinikum erreichen. Es geht um ein Milliardenprojekt, das von 2015 an in Stufen verwirklicht werden könnte. Jetzt sind Entscheidungen fällig. Doch Reutlingens Landrat Thomas Reumann sagt: „Ich war schon wesentlich zuversichtlicher, was die Realisierung der Regionalstadtbahn angeht“.

 

Der Landrat traf kürzlich bei der Hauptversammlung der Erms-Neckar-Bahn AG (Enag) auf Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), wo er sich Mut machende Worte von Minister erhoffte. Doch die vernahm Reumann nicht. Im Gegenteil: Statt die Regionalstadtbahn bei der Priorisierung künftiger Projekte weit nach vorn zu rücken, sagte Hermann klipp und klar, dass zunächst acht Altprojekte dran sind, „und dann die beiden, die hinterher kommen“. Er spielte auf ein Vorhaben in Heidelberg an und auf die Regionalstadtbahn Neckar-Alb. Der Verkehrsminister bezeichnet sich selbst zwar als Befürworter der Regionalstadtbahn, er ließ Reumann aber durchaus spüren, dass die Region spät dran ist. Andere hätten die goldenen Zeiten für die Finanzierung solcher Projekte nicht verpasst. „Ich kann die Finanzsituation nicht ignorieren, auch wenn ich das Projekt gut finde“, sagte Hermann.

Finanzminister Schmid soll helfen

Und Reumann hielt fest: „Wenn alles so bleibt, wird der Reutlinger Kreistag Ende Juli nicht für das Projekt stimmen“. Das würde die Regionalstadtbahn um viele Jahre zurückwerfen – wenn sie überhaupt noch eine Chance hätte. Der Landrat hofft auf ein kurzfristig anberaumtes Gespräch mit Verkehrsminister Hermann und Finanzminister Nils Schmid (SPD).

Dabei geht es um die die nächste Planungsstufe, die sogenannte Entwurfsplanung und die Einleitung des Planfeststellungsverfahrens. Sechs Millionen Euro sind dafür vorgesehen, 2,1 Millionen Euro soll der Landkreis Reutlingen beisteuern. Dieser Planungsschritt umfasst die Elektrifizierung der Ermstalbahn zwischen Bad Urach und Metzingen und der Ammertalbahn zwischen Tübingen und Herrenberg. Diese beiden Strecken sollen wie das DB-Stück Metzingen–Tübingen auf Stadtbahn-Standards gebracht werden. Geplant sind fünf neue Haltepunkte, Voraussetzung für einen Zuwachs neuer Fahrgäste.

Maximal-Förderung wird gefordert

Insgesamt rund 80 Millionen Euro soll dann die Realisierung dieses Planungsmoduls kosten. 16 Millionen Euro will die kommunale Seite einschließlich der Landkreise Tübingen und Reutlingen übernehmen. Eine ähnliche Größenordnung hat das Land zugesagt, der Bund nach jüngster Lesart „bis zu 60 Prozent“. Offen ist, was dieses „bis zu“ bedeutet. Die genaue Förderhöhe hängt davon ab, wie viele Projekte für die Förderung beim Bund anmeldet werden. „Für die Umsetzung dieses Moduls benötigen wir den maximalen Bundesförderanteil“, betont Reumann. Bereits eine Absenkung um zehn Prozentpunkte würde die Kommunen acht Millionen Euro zusätzlich kosten. Weil dem Bund jährlich nur 333 Millionen Euro für das gesamte Bundesgebiet zur Verfügung stehen, befürchtet Reumann, dass letztlich zuwenig Geld bei der Regionalstadtbahn ankommt.

Die Zeit drängt. Denn die Bundesmittel fließen nur bis 2019, dann läuft das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) aus. Zwar fordern Landes- wie Kommunalpolitiker lautstark eine Verlängerung. Doch Reumann und seine Mitstreiter – darunter Tübingens Landrat Joachim Walter sowie die Oberbürgermeister von Reutlingen und Tübingen, Barbara Bosch und Boris Palmer, – mussten sich kürzlich vom Staatssekretär des Bundesverkehrsministeriums Enak Ferlemann (CDU) sagen lassen, sie sollten sich besser nicht auf Nachfolgeregelungen verlassen. Laut Reumann plane der Bund, Geld für Bestandssanierungen und Metropolregionen bereit zustellen. „Das heißt, die Chancen erhöhen sich für uns nicht“, merkte Reumann an. Hermann konterte bissig, er bekomme stets die Prügel, die dem Bund gelten sollten: „Ich kann die Risiken nicht beseitigen, das kann nur der Bund“.

Erfolgreiche Erms-Neckar-Bahn

Die Erms-Neckar-Bahn (Enag) lobte Winfried Hermann in Münsingen als ein „bürgerschaftliches Engagement der ganz besonderen Art“. Die Aktiengesellschaft ist aus einer Bürgerinitiative zur Rettung der Ermstalbahn hervorgegangen. Inzwischen betreibt sie nicht nur diese Strecke sehr erfolgreich, sondern auch die Schwäbische Alb-Bahn und die Krebsbachtalbahn.

Bei der Regionalstadtbahn Neckaralb kommt dem kleinen Eisenbahnverkehrsunternehmen eine Schlüsselrolle zu. Denn die Fachleute der Enag sollen die Projektsteuerung des ersten Moduls von der Planung bis zur Realisierung übernehmen. Und zwar nicht nur für ihre eigene Ermstal-, sondern auch für die Ammertalbahn. „Wenn wir die Entscheidung der Landkreise bis Ende Juli haben, dann werden wir bis 2019 fertig“, da ist sich der Enag-Vorstandschef Carsten Strähle sicher.

„Bei der DB dauert es länger und wird teurer als gedacht“

Nicht ganz so sicher sind sich die Fachleute im Bereich des DB-Abschnitts Tübingen-Metzingen. Hermann sagte dazu: „Auch bei kleinen Projekten der Bahn dauert es immer länger als gedacht und es wird immer teurer als gedacht“. Doch da stellt sich die nächste offene Frage: Wer übernimmt die Kosten, falls die DB nicht rechtzeitig bis 2019 fertig wird und der Bund dann keine Zuschüsse mehr gibt? In letzter Zeit hat das Land dieses Finanzierungsrisiko bei einigen Projekten übernommen, wie beispielsweise bei der Breisgau S-Bahn, doch im Fall der Regionalstadtbahn Neckar-Alb konnte Hermann keine positive Aussage machen. Zudem fordert der Bund vom Land eine „Sicherstellung der Gesamtfinanzierung“. Bevor der Bund Zuschüsse bewilligt, will er sicher sein, dass das Projekt zu Ende gebaut wird. Diese Garantie liegt bisher nicht vor.

„Immer optimistisch bleiben“, sagte das Enag-Aufsichtsratsmitglied Bernd Strobel nach der dreistündigen Hauptversammlung in Münsingen. Der frühere Vorstand der Hohenzollerischen Landesbahn ist von einem Erfolg der Regionalstadtbahn überzeugt. In Karlsruhe, Mülhausen, Saarbrücken oder in Heilbronn würde vorgeführt, wie viele Menschen bereit sind, vom Auto in die Bahn zu wechseln. Für den erfahrenen Verkehrsexperten lautet das entscheidende Wort „umsteigefrei“.

Mit der Stadtbahn über die Neckarbrücke

Pendler seien eher bereit eine Verspätung hinzunehmen, als bei Wind und Wetter auch nur wenige Minuten auf einen Anschluss zu warten. Strobel schwebt schon vor, wie eine Stadtbahn in Tübingen über die Neckarbrücke durch die Mühlstraße hinauf auf den Schnarrenberg mit seinen Kliniken fährt. „Die Machbarkeitsstudien haben klar belegt, dass das geht“, sagt er. Dass noch zehn oder zwanzig Jahre vergehen werden, bis das letzte Modul der Stadtbahn realisiert sein wird, weiß auch Strobel. Für diesen Zeitplan ist die Umsetzung des ersten Moduls aber entscheidend.