Tübinger Forscher sind an der Entwicklung eines neuen Wirkstoffs gegen Klinikkeime beteiligt: Patienten sollen mit Viren vor einem Klinikaufenthalt gegen eventuelle resistente Erreger behandelt werden.

Tübingen - Tübinger Wissenschaftler haben zusammen mit Partnern aus anderen Hochschulen eine neue Waffe gegen die gefürchteten Krankenhauskeime entwickelt. Mit dem Wirkstoff, dessen klinische Prüfung gerade vorbereitet wird, sollen Patienten in Zukunft vor einem Krankenhausaufenthalt behandelt werden, damit sie nicht ungewollt Keime ins Krankenhaus einschleppen. „Unser Wirkstoff ist nicht die Lösung für alles, sondern für eine konkrete Situation“, sagt Andreas Peschel, Professor am Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen. „Aber es ist eine Lösung, die Tausenden von Menschen das Leben retten wird.“

 

Weltweit sterben etwa 700 000 Menschen in Krankenhäusern an multiresistenten Keimen. Laut der Studie einer Forscherin an der Berliner Charité wird sich diese Zahl ohne Gegensteuerung bis 2050 auf zehn Millionen erhöhen. „Die weltweite Zunahme an Antibiotika-resistenten Keimen gehört zu den größten Gefahren für die menschliche Gesundheit“, zitiert die „Berliner Zeitung“ die Studie. Besonders gefürchtet ist der Krankenhauskeim Staphylococcus aureus. Nach Schätzungen trägt jeder dritte Mensch dieses Bakterium auf den Schleimhäuten in seiner Nase. Normalerweise ist das ungefährlich. Doch bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem kann das Bakterium lebensbedrohliche Krankheiten auslösen. Klassische Antibiotika helfen oft nicht, da die Bakterien resistent sind. Man spricht von Methicillin-resistenten Erregern, kurz MRSA.

Schnell bilden sich Resistenzen gegen Antibiotika

Als Konsequenz daraus suchen Wissenschaftler und Pharmaunternehmen nach neuen Antibiotika – doch mit begrenztem Erfolg, wie Ryszard Mledzybrodzki und Kollegen vom Institut für Immunologie und experimentelle Therapie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wroclaw in einer Studie aus dem Jahr 2007 schreiben. Diese Suche werde immer mehr eingeschränkt, „weil die Gewinne kleiner werden und die Risiken solcher Investitionen steigen.“ Der Grund: gegen das neue Medikament könnten sich schnell neue Resistenzen bilden.

Die Tübinger Forscher gehen einen anderen Weg. Seit einigen Jahren arbeitet Perschel mit Kollegen an Versuchen, Infektionskeime mit Hilfe von Viren zu töten. In der anstehenden klinischen Prüfung werde, so eine Mitteilung der Uni Tübingen, „ein hoch wirksames Protein aus bakterienspezifischen Viren, sogenannten Bakteriophagen“ eingesetzt. Der Wirkstoff sei „enorm selektiv“. Die Mikroflora an Bakterien, die jeder Mensch auf den Schleimhäuten trage, werde nicht angegriffen.

Klinische Studie folgt

Das Projekt läuft unter dem Dach des 2010 gegründeten Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF), an dem 32 Forschungseinrichtungen an sieben Standorten in Deutschland beteiligt sind. Die klinische Prüfung bereitet die Universität Tübingen zusammen mit dem Uniklinikum Münster, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Firma Hyglos in Bernried vor. Gefördert wird das Projekt vom Bundesforschungsministerium; insgesamt stehen 1,5 Millionen Euro zur Verfügung.

Zunächst wird das Protein mit dem Namen HY-133 nach pharmazeutischen Standards hergestellt, auf toxikologische Unbedenklichkeit geprüft und in ein Gel verpackt. In nachfolgenden klinischen Studien wird seine Wirksamkeit dann bei Freiwilligen getestet. Ziel ist, dass auch Patienten, die wegen einer dringenden Operation ins Krankenhaus kommen, binnen kurzer Zeit von einer Besiedelung der Nasenschleimhäute mit Staphylococcus aureus befreit werden können. „Es ist gängige Praxis, dass man Risikopatienten screent“, sagt Peschel. Zur Zeit wird dafür aber das Antibiotikum Mupirocin verwendet, gegen das viele Bakterien bereits unempfindlich sind. Zudem dauert die Sanierung der Nasenschleimhaut mit anschließender Kontrolle eine Woche – ein unakzeptabler Zeitraum für Patienten, die schnell operiert werden müssen. Peschel betont, in den bisherigen Experimenten sei „keine spontane Resistenzentwicklung“ gegen HY-133 aufgetreten. „Bei klassischen Antibiotika bekommt man die sehr schnell.“