Für den am Samstag verstorbenen früheren Bundespräsidenten hatte Stuttgart eine besondere Bedeutung: Die Landeshauptstadt war nicht nur die Heimat seiner Vorfahren, sondern vor allem ein Ort schöner Kindheitsträume.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart/Berlin - Die Eltern Richard von Weizsäckers haben im diplomatischen Dienst gearbeitet, so dass sie alle paar Jahre in ein anderes Land zogen – dieses ewige Umherreisen in der Kindheit und Jugendzeit hatte Richard von Weizsäcker aber keineswegs in guter Erinnerung: „Das war keine Freude, sondern eher eine Last“, sagte er vor einigen Jahren in einem großen Interview mit der StZ. Gerade deshalb bekam Stuttgart für ihn eine besondere Bedeutung: Auch wenn er selbst nie länger hier gelebt hat, war Stuttgart doch die Stadt seiner Vorfahren – und, wohl noch wichtiger, die Stadt schöner Kindheitsträume.

 

Sein Großvater Karl von Weizsäcker war von 1906 bis 1918 als Ministerpräsident Württembergs einer der wichtigsten Vertrauten von König Wilhelm II. gewesen. Und sein Onkel Fritz von Graevenitz arbeitete auf der Solitude als Künstler. Das erste Jahr seines Lebens hat Richard von Weizsäcker ganz in Stuttgart verbracht, später kam er oft in den Ferien auf die Solitude, wo sein Onkel eines der Kavaliershäuschen bewohnte. Damals sei noch kein Bus hinausgefahren, erzählte Richard von Weizsäcker, so dass er oft von Botnang zu Fuß auf die Solitude hinauswandern musste.

Doch es sind schöne, warme Erinnerungen, die von Weizsäcker an Stuttgart hatte: „Die Solitude war Heimat für mich. Als junger Mensch bin ich viel durch die Welt gereist und hatte trotzdem Freude daran, irgendwo das Gefühl zu haben, zu Hause zu sein“, sagte er im Jahr 2008. Zu Hause: das war die Solitude. Das Verwurzeltsein an einem Ort, das hat Richard von Weizsäcker zeit seines Lebens gefehlt. Auf die Frage, warum Heimat so wichtig sei, antwortete er: „Weil es eine Wohltat fürs Leben ist zu wissen, wo man zu Hause ist.“

Vielen Stuttgarter dürfte bekannt sein, dass in jener Zeit sogar ein Kunstwerk entstanden ist, das den kleinen Richard zeigt und noch heute in der Marktstraße in Bad Cannstatt zu bewundern ist: Fritz von Graevenitz nahm ihn als Vorbild für den nackten Buben, der auf dem Erbsenbrunnen über den Wasserspeiern auf einer Kugel steht. Richard von Weizsäcker erinnerte sich daran, wie er dem Onkel Modell stehen musste. Das lange Stillstehen habe ihm gar nicht gefallen, so der Bundespräsident.

Der Onkel starb 1959 und wurde auf dem kleinen Soldatenfriedhof nahe der Solitude begraben – ebenso wie Richard von Weizsäckers Eltern. Auch deshalb ist Stuttgart immer ein besonderer Ort für ihn geblieben. Mit seiner Mutter, so sagte Richard von Weizsäcker, habe er immer Schwäbisch gesprochen, auch wenn er zugab: „Ich kenne den Tonfall und die Sprachmelodie des Schwäbischen – aber ich bin dessen nicht wirklich mächtig.“

OB Fritz Kuhn erinnerte daran, dass von Weizsäcker 1990 die Ehrenbürgerwürde Stuttgarts verliehen worden ist: „Die Stuttgarter werden ihm ein ehrendes Gedenken bewahren.“ Im Rathaus wird von Montag an ein Kondolenzbuch aufliegen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte, Deutschland verliere mit von Weizsäcker eine bedeutende moralische Instanz.