Acht reale Kriminalfälle aus zwei Jahrhunderten hat der Schriftsteller Robert Hültner in „Tödliches Bayern“ zusammengetragen und literarisch verarbeitet. Bittere Notizen aus der Provinz, die uns bei Licht betrachtet gar nicht so fern ist.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Wir alle sind Gefangene, Häftlinge unserer Zeit, unserer sozialen Umstände. Weggehen nutzt nichts – und wenn doch mal einer die Flucht wagt, dann wird das böse Folgen haben. Das ist das nicht besonders froh stimmende Fazit, das nach Robert Hültners „Tödliches Bayern“ bleibt. Acht reale Kriminalfälle aus zwei Jahrhunderten hat der 1950 geborene Schriftsteller zusammengetragen, hat die Fakten recherchiert und – wo es ihm notwendig und sinnvoll erschien – mit Fiktion angereichert.

 

Brillanter Prediger, hemmungsloser Weiberer

Da ist etwa die Anfang des 19. Jahrhunderts spielende Geschichte eines Pfarrers, Sohn von Tagelöhnern, der in einer Kirchenkarriere die einzige Chance sieht, der Armut zu entkommen. Er stürzt sich in die Studien, schlägt die Priesterlaufbahn ein – und kümmert sich, Hybris des Hochbegabten, keinen Deut darum, dass Moral und Anstand auf der Strecke bleiben. Denn Hochwürden ist ein rechter Weiberer, der besteigt und schwängert, was im ihm in die Quere kommt. Da er nach außen hin ein brillanter Prediger und vermeintlicher Wohltäter ist, wähnt er sich trotz drückender Alimenteforderungen auf der sicheren Seite – selbst dann noch, als er eine seiner früheren Liebschaften im Streit um Unterhalt erschlägt.

So hat er zunächst auch keine allzugroßen Sorgen, als Jahre nach der Tat ein heranwachsendes Mädchen als Zeugin der Bluttat zur Polizei geht. Die 15-Jährige beharrt auf ihrer Aussage, es beginnt ein ewig langer Prozess, an dessen Ende – immerhin – eine Verurteilung steht. Nur ein paar Jahre früher, und der Kleriker wäre möglicherweise komplett ungeschoren davongekommen.

Oder da ist die Geschichte der Dienstmädchens, das in den Anfangsjahren der Weimarer Republik illegale Waffenlager rechtsradikaler Verschwörer anzeigt – und dafür mit dem Leben bezahlen muss, während eine von ganz weit oben gedeckte Clique ehemaliger Offiziere noch nicht einmal halbherzig zur Verantwortung gezogen wird. Zwei von ihnen machen dann ein Jahrzehnt später sogar Karriere in der SA.

Mit der Akribie des Dummen

Und da ist dieser Vorstadt-Don-Juan, auch er wie der Pfarrer aus dem ersten Erzählstück ein triebgesteuertes Ungeheuer, allerdings noch nicht einmal formal gebildet. Auch er lässt nichts anbrennen, heiratet unter gesellschaftlichem Druck eine seiner Liebschaften, als die schwanger wird, und ändert sich im Übrigen keinen Deut. Als seine Frau ihm Vorhaltungen macht, heckt er mit der Akribie des Dummen einen Mordplan aus, dem Mutter und Kind zum Opfer fallen. Doch die Ermittler kommen ihm schnell auf die Schliche, er wird verurteilt – und am Ende erfährt er von seinem entnervten Anwalt noch eine bittere Nachricht.

Robert Hültners Stil ist angenehm unaufgeregt, er scheut – Gott sei Dank – Regionalismen nicht („dieses Luder, diese verkommene Fut“), er findet für die Guten wie die Bösen in den Geschichten den richtigen Ton. Nur die letzte Episode ist formal und sprachlich nicht ganz so geglückt: Hültner zieht die Ermittlungen, die zu einem Briefbombenbauer führen, ein bisschen in die Länge, die Dialoge der Sonderkommission kommen etwas hölzern daher.

Doch auch hier hält Hültner seine Linie durch: die Erzählung ist eingebettet in ihre Zeit – diesmal in unsere nahe Vergangenheit. Und die Akteure, vor allem der Bombenbastler, sind Gefangene ohne Aussicht auf absehbare Entlassung.

Robert Hültner: „Tödliches Bayern“. Kriminalfälle aus zwei Jahrhunderten. bTb, München 2014. 352 Seiten, 19,99 Euro. Auch als E-Book, 15,99 Euro.