Die zweite Verhandlung über die brutale Messerstecherei am Esslinger Obertor vor etwas mehr als einem Jahr hat am Donnerstag begonnen. Die juristische Aufarbeitung des Verbrechens gestaltet sich zäh.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Der Mord an einem Mitglied der Black Jackets am Esslinger Obertor hat sich kurz vor Weihnachten zum ersten Mal gejährt. Seine juristische Aufarbeitung gestaltet sich schwierig und dürfte sich hinziehen. Obendrein könnte ein am Donnerstag begonnener Prozess in Stammheim platzen. Es ist dies die zweite von drei geplanten Verhandlungen am Landgericht, die das Verbrechen aufarbeiten.

 

Die Anklageschrift ist nahezu identisch: Das 22-jährige Mordopfer saß am 21. Dezember 2012 mit anderen Black-Jackets-Mitgliedern in einer Shishabar in Esslingen. Die rivalisierende Bande Red Legion, die mittlerweile verboten wurde, betrachtete den Besuch der Stuttgarter als Affront. Die Männer argwöhnten, dass die Black Jackets ihnen das Revier streitig machen wollten. „Sie wollten ihnen einen Denkzettel verpassen“, so der Staatsanwalt. So trommelten sie ihre Mitglieder zusammen, lockten die Black Jackets, unter ihnen den ehemaligen „Präsidenten“ des Stuttgarter Chapters, aus der Bar und attackierten sie mit Fäusten, Schlagstöcken und Messern. Ein Black-Jackets-Mitglied erlag den schweren Verletzungen. Eine Messerklinge war in die Herzkammer vorgedrungen. Der Bruder des Toten konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Auch andere Black Jackets wurden erheblich verletzt.

Der erste Prozess läuft bereits seit Mitte September. Von diesem wurde ein weiteres Verfahren mit drei der vormals elf Angeklagten abgetrennt. Am Donnerstag nun fand in der Mehrzweckhalle auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Stammheim der zweite Prozess in Sachen Esslinger Obertor mit sieben Angeklagten statt. Ein dritter soll am 23. Januar beginnen. In allen Prozessen lautet die Anklage auf gemeinschaftlichen Mord.

Staatsanwalt stimmte dem Antrag des Verteidigers zu

Doch möglicherweise hat am Donnerstag in Stammheim der Verteidiger Hans Steffan die Reißleine gezogen und für eine Abkürzung der dreigleisigen Aufarbeitung des Falls gesorgt: In seinem Antrag rügt er die Besetzung der Richterbank. Zuständig für den Fall wäre die 2. Große Jugendkammer gewesen. Da diese wegen Überlastung abwinkte, wurde die Hilfsstrafkammer 2 a gegründet. Laut Geschäftsverteilungsplan müsste aber die 3. Kammer übernehmen, so Steffan. Dessen nachträgliche Änderung sei unzulässig. Das Gericht habe gegen das Abstraktionsprinzip verstoßen und den Fall willkürlich verteilt. Damit würde das grundgesetzlich verbriefte „Recht auf den gesetzlichen Richter“ verletzt. Das Gros der Verteidiger schloss sich dem Antrag des Kollegen an. Erstaunlich war, dass auch der Staatsanwalt ihm zustimmte.

Das Präsidium des Landgerichts wird nun entscheiden, ob der Einwand des Verteidigers zulässig ist. Sollte es sich zu einem „Ja“ durchringen, platzt der Prozess. Immerhin besteht dann die Chance, dass die Prozesse Esslinger Obertor II und Esslinger Obertor III zusammengelegt werden. Einer der Verteidiger kommentierte: „Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren willkürlich aufgespalten, weil sie in Stammheim nicht wieder einen Black-Jackets-Prozess haben wollte. Das fliegt ihr jetzt um die Ohren.“

Einstweilen dümpelt der erste Prozess ereignislos dahin, die Angeklagten schweigen eisern. Ein ähnliches Dilemma zeichnet sich schon jetzt im zweiten ab. Der Korpsgeist der Gangs fordert Kadavergehorsam, und Gesprächigkeit vor Gericht gleicht einer Todsünde. In diese Windstille hinein wird der Fall bald noch ein drittes Mal aufgetaktet. Die drei vormals ausgesonderten Angeklagten sollen dann eigens an einer Jugendkammer juristisch beurteilt werden. Dass ein und dasselbe Verbrechen zeitgleich dreimal verhandelt wird, dürfte rechtsgeschichtlich beispiellos sein. Der personelle und finanzielle Aufwand ist enorm, um die 30 Zeugen müssen dreimal gehört werden. Den neun Opferzeugen wird damit viel zugemutet.

Psychiatrischer Gutachter wurde vom Prozess ausgeschlossen

Dabei hatte es sich das Landgericht diesmal einfacher machen wollen als bei dem großen Black-Jackets-Prozess. Im Herbst 2012 waren nach zweieinhalb Jahren Verhandlung 21 Mitglieder der Black Jackets zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Jetzt sollte es schneller gehen, und so entschied man, die Sache aufzusplitten und zunächst die elf Männer anzuklagen, gegen die man genug in der Hand hatte, und in einem zweiten Durchgang die übrigen sieben Beschuldigten.

Doch mit der Abtrennung der Verfahren gegen drei der Angeklagten wurde gar ein dritter Prozess nötig. Der Hintergrund war, dass einer der psychiatrischen Gutachter vom Prozess ausgeschlossen wurde. Er hätte beurteilen sollen, ob für die drei Angeklagten, die zur Tatzeit zwischen 18 und 21 Jahre alt waren, das Jugend- oder das Erwachsenenstrafrecht gilt. Ein Verteidiger monierte damals, dass der Psychiater nicht bei der Sache sei und während der Verhandlungen andere Aktenarbeiten verrichte. Auf die Schnelle ließ sich der eingearbeitete Experte nicht ersetzen, und ganz neu aufrollen wollte die Kammer den Prozess auch nicht. So blieb keine andere Möglichkeit, als das Verfahren gegen die Heranwachsenden abzutrennen. In Anbetracht des Umstandes, dass die drei jungen Männer ohnehin nicht mit dem Psychiater reden wollten und im Gerichtssaal konsequent schwiegen, würde diese Episode einer Farce gleichen, wäre sie nicht so folgenschwer.