Sicher ist allen gemein, dass die Jugendlichen aus den ärmeren Schichten stammen, während die Einkaufszentren geradezu der Inbegriff der reichen Welt sind. Da in Brasilien die Armen meist schwarz und die Reichen so gut wie immer weiß sind, erhält das Phänomen eine antirassistische Komponente. Tatsächlich sieht man in den Malls, vor allem in den feineren, kaum schwarze Gesichter, es sei denn beim Service- oder Wachpersonal. Was die Brasilianer kurz „o shopping“ nennen, ist eine abgeschlossene Lebenswelt, in der nicht nur eingekauft wird. Man verabredet sich zum Essen, man trifft Freunde, in Shoppingzentren gibt es Kinos, Theater, Arztpraxen und Fitnessstudios. In Einkaufszentren verbringt man seine Freizeit, sie sind Orte der Entspannung und des sozialen Zusammenlebens, an denen man sich, anders als draußen, sicher fühlen kann. Aber die meisten Brasilianer der Mittel- und Oberklasse leben am liebsten mit ihresgleichen zusammen. Das Prinzip der Abkapselung, das dem Shoppingzentrum zu eigen ist, kommt in der Praxis immer dem Ausschluss gleich.

 

Einkaufszentren sind viel mehr als nur Konsumtempel

Man kann also kaum behaupten, dass „Shoppings“ demokratische Räume sind, wie das der Verband ihrer Betreiber in einer Werbeanzeige tut, in der die Umsatzeinbußen beklagt und das harte Vorgehen gerechtfertigt wird. In der ganzen Aufregung wird der Öffentlichkeit ein Widerspruch klar, den die Experten seit Langem erörtern: Malls erfüllen eine öffentliche Funktion, aber sie sind private, geschlossene und gewinnorientierte Räume. Ist es also ihr Recht, bestimmte Menschen abzuweisen, wie man es ja bei Obdachlosen oder Betrunkenen akzeptiert? Oder ist es Diskriminierung und Rassismus? Hinzu kommt, dass die Stoßrichtung der Aufläufe nicht immer Konsumkritik ist. „Funk ostentação“ heißt die Musikrichtung, die bei den Rolezinhos erklingt und in deren Texten ostentativ Luxusmarkennamen erwähnt werden – was manche Interpreten reicher gemacht haben soll als nur die Vermarktung der Musik. Vor allem in den Vorstädten, wo die „Shoppings“ nicht so exklusiv sind, zeigen die Demonstranten zugleich oft auch in anderer Eigenschaft Präsenz: als Kunden, die Markenkleidung kaufen. Denn die Konsumgier zieht sich durch alle Schichten in Brasilien. Und die Attraktivität von Einkaufszentren ist offenbar größer als die von Kultur- und Jugendzentren, von denen es meist viel zu wenige gibt.

„Die Kinder, die da kommen, sind ja unsere Kunden“, zitiert die Presse einen erstaunten Mall-Manager. Die Jugendlichen, die der unteren Mittelklasse Brasiliens angehören, verfügen über eine höhere Kaufkraft als die Jugendlichen der – deutlich kleineren – Oberschicht, nämlich 130 Milliarden Reais (40 Milliarden Euro). Ist es da klug, die Polizei zu rufen, wenn von diesen Kunden auf einmal so viele kommen?