Im Thriller „Suburra“ schildern ein Investigativ-Journalist und ein Richter die kriminelle Unterwanderung der italienischen Hauptstadt. Fiktion und Wahrheit liegen da gewollt ganz nah beisammen – und sorgen für eine packende Lektüre.

Stuttgart - Dass mutmaßliche Übeltäter in Untersuchungshaft kommen, ist nichts Besonderes. Dass ein Verdächtiger aber sofort nach seiner Ergreifung, also noch bevor ihm ein Gericht irgendein Verbrechen nachgewiesen hätte, in den Hochsicherheitstrakt eines für die schlimmsten Mafia-Bosse bestimmten Gefängnisses gesteckt wird, das passiert wohl nur einem wie Massimo Carminati. Seit seiner Verhaftung Anfang Dezember 2014 fragt sich ganz Rom, wieso der 56-Jährige, der von einer Minute auf die andere als der mächtigste Mafioso der Stadt galt, über so viele Jahre völlig unbehelligt in der Hauptstadt umherlaufen konnte.

 

Antwort zu geben versucht ein Roman mit dem Titel „Suburra“, der nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Mit Belletristik haben seine Autoren im normalen Berufsleben nichts zu tun; der eine ist Investigativjournalist, der andere Richter. Dafür kennen sich die beiden mit der real existierenden römischen Unterwelt umso besser aus. Die literarische Form des Romans ermöglicht es ihnen, Vorgänge zu schildern, die sie in ihrem Beruf nicht zwingend beweisen können, die aber eine hohe Plausibilität besitzen.

Carminati hatte die römische Justiz in der Hand

Dabei verschwimmt die Grenze zwischen Fiktion und Realität: Der Leser weiß nicht, welche Episoden tatsächlich vorgefallen sind. Aber was derzeit in Rom passiert, welche Abgründe in den Ermittlungen gegen Massimo Carminati ans Licht kommen, das übersteigt ohnedies jede Fantasie. Verlässlich ist das, was Carlo Bonini und Giancarlo De Cataldo erzählen, der Spur nach auf jeden Fall.

Gezeigt hat sich das nach Carminatis Verhaftung: Der Roman „Suburra“ war im italienischen Original bereits ein Jahr zuvor erschienen, aber er hatte viel von dem dunklen Geflecht von Kriminalität und Gewalt, Geschäftemacherei und Politik vorausgeahnt, das sich nachher als schwärzeste Realität erwies.

Carminati hatte die römische Justiz in der Hand. Im Juli 1999 war er maßgeblich an einem historischen Coup beteiligt. Diese reale Episode nimmt in „Suburra“ eine Schlüsselstellung ein. Mitten in der Gerichtszentrale der italienischen Hauptstadt wurde der Tresorraum einer Bank ausgeraubt, genauer gesagt, gezielt ausgewählte Schließfächer. Sie gehörten Richtern, Staatsanwälten und sonstigen Justizbediensteten. Und sie enthielten offenbar einiges an Material, mit dem man Roms Juristen erpressen und so die eigene Verhaftung verhindern konnte. Eng für Carminati wurde es erst kürzlich, als die Regierung die stärksten und besten Mafia-Ermittler Italiens in der Hauptstadt zusammenzog – und zwar von außerhalb.

Ein packendes Buch

Im Roman tritt Carminati – Samurai genannt – als oberste römische Mafia-Autorität auf und verfolgt das Ziel, einen Waffenstillstand zwischen Camorra-, Ndrangheta- und Zigeunerbanden zu schließen. Als vereinigte Unterwelt wollen die Mafiosi möglichst viel an einem gigantischen Bauprojekt verdienen: der „Waterfront“ in Ostia, einer Sammlung von Einkaufsmeilen, Kasinos, Hotels, Restaurants, Fitnessklubs, Yachthafen, wie sie unter dem rechtskonservativen Bürgermeister Gianni Alemanno (2008-13) tatsächlich geplant worden war.

Natürlich trifft Samurai auf korrupte Politiker. Unvermeidlich sind Kokain-Grossisten ebenso wie Huren allerlei Geschlechts und schwule Vatikanprälaten, die beim Austernschlürfen fromm-hohle Sprüche ablassen. Grässlich gemordet wird mindestens auf jeder zehnten Buchseite. Im wirklichen Leben passiert zumindest das nicht ganz so exzessiv.

Literarische Höhenflüge sollte man von „Suburra“ nicht erwarten. Die Charaktere sind ziemlich grob geschnitzt, die Dialoge wirken hölzern, die Übersetzung ist gestelzt. Nichtrömer verlieren sich wohl gelegentlich in der Vielfalt von Raum und Zeit; ein kleiner Stadtplan wäre schon hilfreich gewesen. Aber packend und dramaturgisch fesselnd geschrieben ist das Buch allemal.

Massimo Carminati könnte vom Wirbel um seine Person vielleicht sogar profitieren. Denn dank De Cataldos „Romanzo Criminale“ hatte er bereits ein literarisches wie verfilmtes Vorleben. Dieses, so kritisierte dieser Tage die oberste italienische Antimafia-Behörde, habe das „kriminelle Prestige“ des echten Massimo Carminati aber derart befördert, dass allein die Nennung seines Namens ausreichte, um sich Menschen gefügig zu machen.