In seinem ersten Interview als Bahn-Infrastrukturvorstand regt Ronald Pofalla weitere Gespräche über die Mehrkosten bei Stuttgart 21 an. Wann die ersten Zügen rollen können, soll in den nächsten zwölf Monaten klar sein. Am Freitag nimmt Pofalla erstmals am S-21-Lenkungskreis teil.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Berlin - Seit 1. Januar verantwortet Ronald Pofalla im Vorstand der Deutschen Bahn das Ressort Infrastruktur. Damit ist der ehemalige Chef des Bundeskanzleramts auch zuständig für das Milliardenprojekt Stuttgart 21. An diesem Freitag nimmt er erstmals am Lenkungskreis der Projektpartner in Stuttgart teil. Im Interview sieht Ronald Pofalla weiter die Möglichkeit einer außergerichtlichen Einigung über die Mehrkosten. Zudem ist der 57-Jährige zuversichtlich, in den nächsten zwölf Monaten einen Termin für die Inbetriebnahme nennen zu können.

 
Herr Pofalla, am Freitag nehmen Sie erstmals am Lenkungskreis für Stuttgart 21 teil. Was sind Ihre Erwartungen?
Den Lenkungskreis habe ich bislang als ein Gremium wahrgenommen, in dem fachlich fundiert und ausführlich über das gesamte Projekt informiert wird. Strittige Fragen werden im Sinne der Projektpartnerschaft auf Augenhöhe diskutiert und entschieden. Was sich in 17 Sitzungen bewährt hat, sollten wir auf jeden Fall fortsetzen. Das habe ich bereits mit Verkehrsminister Winfried Hermann und Oberbürgermeister Fritz Kuhn in Stuttgart besprochen. Klar ist: Stuttgart 21 ist ein Gemeinschaftsprojekt aller Partner, und das wird mit der Institution Lenkungskreis betont.
Die zehn wichtigsten Fakten zu Stuttgart 21 sehen Sie im Video:
Inwieweit kommt Ihnen Ihre politische Vergangenheit zugute bei Stuttgart 21, das eben auch ein politisches Projekt ist?
Ich denke, dass ich ein Verständnis für politische und öffentliche Prozesse habe und weiß, wie man damit umgeht, wenn unterschiedliche Interessen berücksichtigt werden müssen.
Neben dem Bekenntnis zur Gemeinschaftlichkeit dürften die Projektpartner im Lenkungskreis vor allem Aussagen zur Kosten- und Terminsituation interessieren. Wann können Sie Definitives sagen?
Zunächst einmal bleibt es beim bisherigen Stand. Die Projektgesellschaft hat im Jahr 2016 festgestellt, dass gegenüber dem bisherigen Zeitplan zwei Jahre aufzuholen sind. Ein Jahr glauben wir schaffen zu können. Wir arbeiten aber weiter daran, weitere Zeit gutzumachen. Und in den kommenden zwölf Monaten sehen wir dann klarer, was die Eröffnung angeht.
Was macht Sie da so sicher?
Bis zum Beginn des nächsten Jahres stehen noch größere Vergaben an, die mit einem Zeitplan unterlegt sein müssen.
Bei den Kosten warnt etwa der Bundesrechnungshof vor zehn Milliarden Euro allein für Stuttgart 21 . . . 
. . . der Bundesrechnungshof arbeitet aber mit Prämissen, die die Bahn nicht teilt. KPMG sowie Ernst Basler und Partner als Gutachter des Aufsichtsrats sehen eine Bandbreite von 6,3 bis 6,7 Milliarden Euro bei den Kosten.
Die Gutachter des Aufsichtsrats haben aber auch auf Baurisiken hingewiesen.
Beim Bauen im Anhydrit bewertet die Bahn das Eintrittsrisiko weniger hoch als die Gutachter. Aber wir sind sicher, das mit unseren Fachleuten im Griff zu haben.
Selbst wenn Sie das Projekt zu den von der Bahn prognostizierten rund 6,5 Milliarden Euro realisieren können, müssen Sie noch zwei Milliarden nachfinanzieren. Wie wirkt sich die Klage gegen die Projektpartner auf Beteiligung an den Mehrkosten auf das Verhältnis zu den Projektpartnern aus?
Ende des vergangenen Jahres drohten Ansprüche zu verjähren. Damals gab es die Alternativen, einen Verjährungsverzicht zu erklären oder die Klage einzureichen. Zum Verzicht kam es nicht. Wir sind aber weiter zuversichtlich, dass wir uns mit den Projektpartnern auf eine angemessene Verteilung der Mehrkosten verständigen können. Unsere Tür für eine außergerichtliche Einigung steht selbstverständlich weiterhin offen. Das haben wir stets betont.
Erhalten Sie denn aus Stuttgart Signale, dass sich die Projektpartner eine solche Einigung vorstellen können?
Wenn ich diese erhalten würde, würde ich sie nicht hier mit Ihnen besprechen.
Das heißt, alles läuft auf eine gerichtliche Klärung hinaus?
Um die Projektarbeit nicht zu belasten, hat der Konzernvorstand auf meinen Vorschlag hin die Zuständigkeit für das juristische Verfahren in Absprache mit der Projektgesellschaft aus Stuttgart abgezogen. Darum kümmern sich nun Konzernjuristen. Es kann nicht sein, dass in Stuttgart vormittags dieselben Experten einvernehmlich Lösungen in einzelnen Bauabschnitten verhandeln und sich nachmittags mit strittigen Schriftsätzen beschäftigen müssen.
Als die Entscheidung zur Klage fiel, waren Sie noch nicht Infrastrukturvorstand der Bahn. Hätten Sie auch geklagt?
Das ist eine hypothetische Frage, die sich so nicht stellt. Wichtig ist mir, deutlich zu machen, dass aus meiner Sicht immer noch die Möglichkeit einer außergerichtlichen Einigung besteht.
Bei der Bilanzpressekonferenz des Konzerns haben Sie angekündigt, einen internen Lenkungskreis bei der Bahn für Stuttgart 21 einzuberufen. Gilt da der alte Leitsatz: Wenn man nicht mehr weiterweiß, gründet man ’nen Arbeitskreis?
Nein, überhaupt nicht. Bei einem so komplexen Projekt können wir gar nicht früh genug damit beginnen, uns auf die Inbetriebnahme vorzubereiten. Schließlich können wir nicht eines schönen Tages einfach das Signal auf Grün stellen – und alle Züge fahren von allein. Einen vergleichbaren Kreis gibt es auch beim Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 8, der Schnellfahrstrecke zwischen Berlin und München, die wir im Dezember vollständig in Betrieb nehmen werden.
Also kein Lenkungskreis II, der am Lenkungskreis I vorbeiregiert und wichtige Entscheidungen trifft?
Natürlich nicht. Alle relevanten Dinge, die wir im internen Lenkungskreis diskutieren, besprechen wir auch mit unseren Projektpartnern in Stuttgart. Da passiert nichts hinter deren Rücken.
S-21-Kritiker werfen Ihnen vor, in Ihrer damaligen Eigenschaft als Chef des Kanzleramts im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung im März 2013 Einfluss auf die vom Bund entsandten Aufsichtsräte ausgeübt zu haben, damit diese trotz gestiegener Kosten für einen Weiterbau stimmen.
Die Behauptung lautete ja sogar, ich hätte eine Anweisung erteilt. Dazu sage ich klipp und klar: Es hat von meiner Seite keine Anweisung in Sachen S 21 gegeben.
Nicht zuletzt der schleppende Fortschritt der Arbeiten im Talkessel hat Gegner des Projekts animiert, eine Umstiegsplanung vorzulegen, von der sich laut einer Erhebung gut die Hälfte der Befragten wünscht, dass sie zumindest ernsthaft geprüft wird.
Unter den schwierigen Bedingungen des Bauens im Herzen einer Großstadt haben wir zum Beispiel inzwischen nahezu die Hälfte aller 59 Tunnelkilometer für Stuttgart 21 gegraben. Es geht also voran. Darüber hinaus erreichen mich jeden Tag eine Fülle von Gegenvorschlägen zu den unterschiedlichsten Projekten. Ich habe mir fest vorgenommen, zu keinem davon öffentlich Stellung zu nehmen. Ungeachtet dessen sind wir verpflichtet, das Gemeinschaftsprojekt Stuttgart 21 so umzusetzen, wie es der Finanzierungsvertrag von 2009 vorschreibt.
Zu den vielen Bauprojekten gehört in Baden-Württemberg auch der Ausbau der Rheintaltrasse, der gehörig dem Zeitplan hinterherhinkt. Müssen Planungs- und Genehmigungsverfahren gestrafft werden?
Ja. In der „Reformkommission Bau“ des Bundesverkehrsministeriums haben in den vergangenen Jahren Fachleute aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft dazu Vorschläge gemacht. Wir setzen auf frühzeitige Bürgerbeteiligung und den Einsatz digitaler Planungsinstrumente. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass wir die Zusammenarbeit zwischen uns und der Bauindustrie im Sinne des partnerschaftlichen Bauens weiterentwickeln. Davon versprechen wir uns mehr Transparenz und infolgedessen mehr Tempo, Qualität sowie Kosten- und Terminsicherheit.
Gilt diese Zuversicht auch für die Elektrifizierung der Südbahn zwischen Ulm und Friedrichshafen, die immer wieder versprochen wurde?
Ja, dort geht es im Jahr 2018 los. Unser Ziel ist auch hier unverändert eine Inbetriebnahme im Jahr 2021.
Ihr Vertrag läuft bis 2022. Nehmen Sie also all diese Projekte in Betrieb?
Davon gehe ich aus. Wenn sich doch Verzögerungen abzeichnen, sprechen wir frühzeitig mit allen Beteiligten.