Am Sonntag wählt Thüringen. Und es ist gut möglich, dass danach die SPD mit Bodo Ramelow erstmals einen Linken zum Ministerpräsidenten wählt. Das wäre eine historische Entscheidung.

Berlin - Von einem Erdbeben war die Rede, einer zerrissenen Partei, einem Parteichef, der jeden Respekt verspielt habe. Man schrieb das Jahr 2008 und die damalige SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti wollte in Hessen, erstmals im Westen, den Pakt mit der Linken wagen. Aber ihre eigene Fraktion stürzte sie. SPD-Chef Kurt Beck, der wie Ypsilanti vor der Wahl Rot-Rot ausgeschlossen hatte, erholte sich von seinem Wortbruch nicht mehr. Die Union gewann die Neuwahlen. Der Schaden hätte größer nicht sein können.

 

Am Sonntag nun wählt Thüringen. Und es ist gut möglich, dass danach die SPD mit Bodo Ramelow erstmals einen Linken zum Ministerpräsidenten wählt. Das wäre eine historische Entscheidung. Aber die mögliche Sensation wird von allen Parteien – selbst von der Union – diesmal erstaunlich geschäftsmäßig abgehandelt. Sicher, Bodo Ramelow taugt nicht mal der Union als Feindbild. Mancher Sozialdemokrat redet linkslastiger als er. Heike Taubert, die für die SPD ins Rennen geht, hat außerdem, anders als Ypsilanti, kein Wort gegeben, das sie brechen müsste. Und die Bundes-SPD hat keine Tabus ausgerufen, die zu ignorieren wären. Entschieden hat sich die SPD in Thüringen zwar noch nicht, aber die Partei beschäftigt sich aus rein taktischen Gründen mit der Frage, ob man den Schritt wirklich gehen soll, wenn die Mehrheitsverhältnisse ihn zulassen. Die SPD ist in Sorge, in einer Koalition mit einem pragmatischen Linken an der Spitze unterzugehen. Eben diese gefühlte Normalität ist es, die diese Situation angesichts der Geschichte rot-roter Bündnisse so besonders macht.

Offene rot-rote Feindschaft auf Bundesebene

Als Reinhard Höppner 1994 in Sachsen-Anhalt gegen den erklärten Willen der Parteispitze ein rot-grünes Bündnis von der PDS tolerieren ließ, wurde sein „Magdeburger Modell“ die Vorlage für die hitzige „Rote-Socken-Kampagne“ des damaligen CDU-Generals Peter Hintze. Vier Jahre später schmiedete Harald Ringstorff in Mecklenburg-Vorpommern dann die erste Koalition mit der PDS. Die Empörung im konservativen Lager war abermals groß, auch wenn in Magdeburg die Langeweile, aber keineswegs der Sozialismus ausgebrochen war.

Die PDS erwies sich in den Ländern in Koalitionen als folgsam, half in Mecklenburg-Vorpommern der SPD, die Hartz-Gesetze durch das Parlament zu bringen. Und als Klaus Wowereit 2002 in Berlin die rot-rote Karte zog, brachte er ausgerechnet mit den Sozialisten den härtesten Sparkurs in der Geschichte der Hauptstadt durch. Auf Bundesebene entwickelte sich das Verhältnis hingegen zur offenen Feindschaft.

Die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetzgebung spalteten die SPD. Der ehemalige Parteichef Oskar Lafontaine lief zur westdeutsch-gewerkschaftlich geprägten Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) über, trieb die Fusion mit der PDS voran und etablierte mit der Linken eine gesamtdeutsche Partei. Die SPD verlor in diesem Familiendrama die rot-grüne Machtperspektive und musste ertragen, dass ehemalige Sozialdemokraten den Weg ins Kanzleramt blockierten. Wechselseitig warfen sich fortan Spitzenpolitiker beider Parteien vor, die eigenen Ideale verraten zu haben.

Aber die Lafontaines, Schröders und Münteferings sind nicht mehr relevant. Die heutigen Parteiführungen von SPD und Linke verbindet ein pragmatischer Blick auf das noch nicht Machbare. Das erleichtert eine sehr spezielle Art des Wandels durch Annäherung.

Debatte auf der Sachebene, nicht auf der Psychocouch

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat diese emotionale Abkühlung befördert und schließlich genutzt, um die Diskussion über den Umgang mit der Linken auf der Sachebene und nicht mehr auf der Psychocouch zu führen. Ohne nennenswerten Widerstand versah er den Einstieg in die große Koalition auf dem Parteitag in Leipzig im November schließlich mit einem leuchtend roten Exit-Schild. Koalitionen mit der Linken sollten fortan auf Bundesebene unter drei Bedingungen nicht mehr ausgeschlossen sein. Erstens müsse eine stabile Mehrheit gebildet werden können, zweitens müsse der Koalitionsvertrag finanzierbar sein und drittens sei auf eine verlässliche Außenpolitik „im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen“ zu achten. Jetzt liegt aus Sicht der SPD der Ball bei der Linken. Gabriel wartet ab, ob sich dort die Pragmatiker mit ihren außen- und sozialpolitischen Vorstellungen durchsetzen oder die linken Hardliner.

Ähnlich handelt Gabriel auch in Thüringen. Mit keinem Wort heizt er den Wettstreit mit der Linken dort emotional an. Seinen Thüringer Genossen überlässt er die Entscheidung, Ramelow zu wählen. Die Partei nimmt diese Großzügigkeit bis jetzt gelassen zur Kenntnis. Sieht also ganz so aus, als komme Gabriel seinem Ziel immer näher. Er will, dass die SPD die Linke auch im Bund nicht mehr als Erzfeind, sondern als ganz normale Konkurrenz wahrnimmt, denn mit Erzfeinden paktiert man nicht – mit Konkurrenten, wenn es sein muss, schon.