Die Decke, die Reisenden angeboten wird, soll mehr als nur wärmen: Sie zeigt durch ihre Farbe den Gemütszustand an. Ein Stirnband funkt Informationen zu den Gehirnströmen an die Decke. Ein Überwachungsalbtraum, findet der StZ-Kolumnist Peter Glaser.

Stuttgart - Es ist nicht immer gut, seine Gefühle sichtbar zu machen. Und dann kommt British Airways und erfindet die Glücksdecke. Zu zeigen, wodurch man sich von der Konkurrenz abhebt, wird auch für Fluggesellschaften zusehends schwieriger. Etwas Anschauliches ist gefragt. Jeder naturwissenschaftlich interessierte Minderjährige kennt zum Beispiel das Experiment zur Visualisierung eines Magnetfelds, bei dem Eisenfeilspäne auf ein Blatt Papier gestreut werden, unter dem man einen Magneten herumbewegt.

 

Statt nun ihre Fluggäste in Metallstaub zu panieren, lässt British Airways sie in Glücksdecken hüllen. Es handelt sich dabei um mit Lichtleitern dicht durchwobene Decken, die in verschiedenen Farben aufglimmen können. Welche Farbe das gerade ist, bestimmt ein mit einem Stirnband an den Fluggastkopf geschnalltes Mini-EEG, das den Gehirnströmen gewisse Gemütsverfassungen zu entnehmen in der Lage ist. Leuchtet die Decke blau, geht es dem Zugedeckten gut, leuchtet sie rot, ist er genervt, aufgekratzt, unerfüllt.

Man wolle auf diesem Weg herausfinden, so die Deckenentwickler, ob es während eines Fluges bestimmte Glücksmuster gebe und wo es gewöhnlich am Wohlbehagen hake. Nicht wirklich erstaunlich sind die Erkenntnisse aus den bisherigen Deckentests: Direkt nach dem Einsteigen etwa oder beim Konsum eines spannenden Films sind die Passagiere im roten Bereich, während sie sich besonders behaglich fühlen, wenn nach dem Essen die Verdauung einsetzt oder wenn sie die Möglichkeit finden, tief und ungestört zu schlafen. Flugbegleiter sollen durch die Farbwechsel wortlos auf eventuellen Wohlfühlbedarf hingewiesen werden (Passagiere in der Touristenklasse dürfen sich weiterhin verbal bemerkbar machen).

Nicht nur Metadaten, auch Gefühle werden transparent

Was auf den ersten Blick als Verfeinerung des Flugkomforts daherkommt, ist in Wahrheit ein Überwachungsalbtraum. Als Edward Snowden vor ein paar Tagen davon berichtete, dass NSA-Mitarbeiter bei Überwachungsvorgängen abgegriffene Nacktaufnahmen untereinander tauschen, war das genau die profane Art von Datenmissbrauch, die man von puritanischen Schnüfflern erwartet. Mit der Glücksdeckentechnologie aber wird der nächste Schritt in die totalitäre Überwachung vollzogen. Nun werden nicht mehr nur Konsumverhalten und aus Metadaten gewonnene Bewegungs- und Kommunikationsprofile transparent gemacht, wie Internetfirmen und NSA es massenhaft betreiben, sondern auch die Gefühle des Menschen – und das auf eine Art, der man sich nicht entziehen kann. Es sei denn, man gibt die Decke zurück und sitzt fortan wieder mit privaten Empfindungen zwischen seinen wie Seeanemonen schimmernden Sitznachbarn.

Mit der Glücksdecke ist man nackter als nackt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Textiltechnologie Einzug in die Mode als auch in die Polizei- und Geheimdienstarbeit hält. Akzeptanz könnte diese Form von bekleidetem Exhibitionismus als ein reizvolles Modeaccessoire finden, gewissermaßen die Fortsetzung der berühmt-berüchtigten Röntgenbrille. Und wer sagt, dass ein solcher Stoff im Bereich des sichtbaren Lichts leuchten muss? Eine Infrarot- oder UV-Strahlung emittierende Textilie, die jemandem untergejubelt wird, ohne dass er es merkt, macht ihn zu einem Wesen mit gläsernem Gefühlsleben, das jede seiner innersten Absichten und Ängste wie auf dem Tablett vor sich herträgt. Lügendetektortests haben dann ausgedient. Es reicht, sich morgens anzuziehen und im Sensorbereich einer interessierten Organisation zu leben.