Unser etwas anderer Rückblick auf die Leichtathletik-WM in Peking erzählt die kleinen Randgeschichten von einer lebenswichtigen Nierentransplantation im Anschluss an den Wettkampf oder einer Taxifahrt, nach der die Goldmedaille weg ist.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Peking - Journalist ist einer der am wenigsten angesehenen Berufe. Was ungerecht ist. Warum? So halt, ist halt ungerecht. Der Beruf des Sportjournalisten ist in den vergangenen Jahren auch zunehmend anspruchsvoller geworden, weil der gemeine Sportjournalist heute Experte in Dermatologie sein sollte und Grundkenntnisse aus dem Dental-Gewerbe aufweisen muss. Dieses Fachwissens bedarf es nämlich für den Crashkurs „Dopingverdacht I“ der Journalistenausbildung: Akne gilt zum Beispiel (bei Menschen jenseits der Pubertät) als hochgradig verdächtig, ein weites Gebiss deutet für den Experten auf Doping mit Wachstumshormonen hin, weil die den Kiefer weiten und so Lücken zwischen den Zähnen entstehen. Und so läuft man mit offenen Augen durch die WM und steht dann vor, zum Beispiel, Dafne Schippers.

 

Die Niederländerin bedrängte ja nach ihrem Silberlauf über 100 Meter uns Journalisten so: „Kommt, fragt mich doch endlich danach.“ Nach Doping etwa? Nicht schon wieder, immer wollen die Athleten nur über Doping reden. Na gut, einmal noch, also Doping: „Dann werde ich euch sagen, dass ich zu 100 Prozent sauber bin.“

Ein Sixpack Bier für 20 Euro

Gut, dass das geklärt wäre und gut auch, dass sie endlich die DDR-Rekorde aus der Leichtathletik läuft, ist ja auch überfällig. Nur wenn sie nächstes Jahr bei ihrem Olympiasieg den Weltrekord vonUsain Bolt bricht, würden wir bei allem Vertrauensvorschuss gerne mal das Gebiss sehen.

Wo wir schon beim Thema Vertrauen sind. Preise in Peking sind auch eine Vertrauensfrage. Der für einen Sixpack Tsingtao-Bier fängt in einem dieser Spirituosen-Büdchen gerne mal bei 150 Yuan an (circa 20 Euro), je nachdem, wie entgleist der Gesichtsausdruck ausfällt, endet die Verhandlung über 90 Yuan bei etwa 60 Yuan (acht Euro). Wer gar kein Geld hat, hat ein Problem. So wie der Hammerwurf-Weltmeister Pawel Fajdek. Der Pole hat seinen WM-Titel angeblich recht ausgiebig gefeiert und soll dann nämlich mangels Geld in einem Taxi seine Fahrt mit seiner Goldmedaille bezahlt haben. Das brachte viel Erheiterung, stimmt aber laut Fajdek gar nicht.

Erst bei Olympia, dann auf dem OP-Tisch

Er habe die Medaille nur vergessen, und der Fahrer habe sie ihm später zurückgebracht. „Und dann muss ich später solche Unwahrheiten lesen und werde als betrunkener Idiot dargestellt“, schrieb Fajdek auf seiner Facebook-Seite: „Es schmerzt, dass nicht nur die ausländischen Medien das aufgegriffen haben, sondern auch die polnischen. Es scheint, als hätten mir diese flachen Texte mehr Öffentlichkeit eingebracht als meine Titelverteidigung.“

Was wahr ist, wissen wir nicht. Wir waren ja nicht dabei. Aber weiter im flachen Text. Und frei von der Leber weg zu einer Niere. Es ist eine der ergreifendsten Geschichten dieser WM gewesen, die des US-Hürdensprinters Aries Merritt: Der Olympiasieger und Weltrekordler (12,80 Sekunden) hat am Freitagabend Bronze über 110 Meter Hürden gewonnen – und jetzt hat er in den USA eine lebensnotwendige Operation. Die Leistungsfähigkeit seiner Niere ist auf unter 20 Prozent gesunken, am Dienstag wird ihm eine Niere seiner Schwester transplantiert. „Ich wollte nicht einfach zu Hause sitzen und auf die Operation warten“, sagt Merritt, bei dem 2013 Niereninsuffizienz festgestellt wurde. Zwischen Oktober 2013 und April 2014 lag er deshalb im Krankenhaus. „Ich hoffe, ich bin eine Inspiration für Menschen mit schweren Krankheiten. Man darf nie aufgeben und muss immer seine Träume weiterverfolgen.“

Youtube-Videos können ziemlich lehrreich sein

Wo wir schon bei Träumen sind. Kenia wird in wenigen Jahren auch die führende Sumo-Nation sein. Okay, das war nur ein Scherz, aber dass ein Kenianer (Julius Yego) Speerwurf-Weltmeister wird, also bitte. Und wer ist schuld? Wie im Grunde an allem: die neuen Medien. Yego hat sich nämlich, wie übrigens auch 400-Meter-Hürden-Weltmeister Nicholas Bett aus Kenia, über Youtube-Videos die Technik angeeignet. Das Interesse am Speerwerfen aber begann so: „Wenn ich als Kind nach den Kühen geschaut habe, habe ich mir lange Stöcke geschnitzt und geworfen.“ Was wir daraus lernen? Erstens: Youtube ist okay. Zweitens: Rindviecher gibt es ja genügend in Deutschland, aber vielleicht zu wenig Kühe, die von Kindern gehütet werden.

Apropos Bolt. Was? Niemand hat Bolt gesagt? Egal, was wäre so ein Rückblick ohne Usain Bolt. Usain Bolt also hat hier seine WM-Titel Nummer neun bis elf geholt. Er wurde nach seinem Sieg über 200 Meter von einem Kameramann auf einem Segway umgefahren, er lieferte sich danach ein köstliches Duell mit dem bösen Justin Gatlin um die besten Sprüche. Und sonst so? Ach, egal, zu Bolt ist eigentlich alles gesagt.