Auch aus Westeuropa brachen vor noch nicht allzu langer Zeit viele Menschen auf, um anderswo besser zu leben. Der für den Oscar nominierte Film „Brooklyn“ lässt mit seiner Geschichte einer jungen Irin in den USA leider die Chance zur Aktualität aus.

Stuttgart - Irland, fünfziger Jahre. Das verschlafene Nest Enniscorthy bietet jungen Leuten nicht die besten Chancen, um sich ein gutes Leben aufzubauen. Vor allem nicht einer ehrgeizigen Frau wie Eilis (Saoirse Ronan), die mit ihrer verwitweten Mutter und der noch alleinstehenden, älteren Schwester Rose (Fiona Glascott) in einer engen Wohnung haust und nur als Aushilfe im örtlichen Tante-Emma-Laden jobbt. Der Alltag ist öde. Deshalb nimmt Eilis das Angebot von Vater Flood (Jim Broadbent) an, der ihr Arbeit und Unterkunft im fernen Brooklyn vermittelt.

 

Obwohl der Regisseur John Crowley(„Boy A“) in „Brooklyn“ die Geschichte einer Migration erzählt, die mit aktuellen Flüchtlingsschicksalen kaum vergleichbar ist, kommt sein für den Oscar in der Kategorie „Bester Film“ nominiertes Werk zur richtigen Zeit. Nicht wenige würden heute eine Migrantin wie Eilis als Wirtschaftsflüchtling bezeichnen. Auch damals wurden Einwanderer ins gelobte Amerika genau unter die Lupe genommen, ob sie dem Land von Nutzen sein könnten.

Fern von historischen Problemen

Nach einer stürmischen, von grauenvollen Magen-Darm-Koliken begleiteten Schiffsreise erreicht Eilis mit spärlichem Gepäck und Vater Floods Empfehlungsschreiben das Eintrittstor Ellis Island, im Volksmund „Insel der Tränen“ genannt, weil sich dort traurige Dramen abspielten. Wer weder die strengen Einwanderungskriterien erfüllte noch einen Bürgen im Rücken hatte, musste umkehren.

Von solch düsteren Begebenheiten und den sozialen Missständen in Brooklyn, wo Auswanderer nicht immer friedlich aufeinandertrafen, erzählt Crowleys Film jedoch nichts. Dabei wäre dieser historisch angelegte Stoff gut geeignet gewesen, moderne Migrationen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Anstatt aber in der Vergangenheit Muster zu erkennen, die sich im Hier und Jetzt wiederholen, schwelgt Crowleys Erzählung in herrlich ausgestatteten, nostalgisch weichgezeichneten Bildern, die Eilis’ Auszug aus unwirtlichen Verhältnissen als romantische Erfolgsstory zeigen.

Spritzige Dialoge von Nick Hornby

Hier schlagen der Heldin keine harten Vorurteile über Geschlecht, Religion oder soziale Herkunft entgegen. Einzig das Heimweh und die Sorgen der Daheimgebliebenen lassen Eilis das Herz schwer werden in der Fremde. Obwohl die spritzigen Dialoge von Nick Hornby, der als Drehbuchautor eine Romanvorlage von Colm Tóibín bearbeitet hat, den Figuren nur so von der Zunge perlen und manche Charaktere, wie etwa die von Julie Walters herrlich schrullig gespielte Boarding-Haus-Mutter Mrs. Kehoe, zum Schießen komisch sind, wirkt „Brooklyn“ wie ein arg komfortables Erbauungsstück für eine vornehmlich weibliche Zielgruppe.

Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten. Irland, Großbritannien, Kanada 2015. Regie: John Crowley. Mit Saoirse Ronan, Jim Broadbent. 112 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.