Exklusiv Die Sanktionen gegen Russland sind so gestaltet, dass die Wirtschaft der Europäischen Union möglichst wenig leidet. Das gilt zumindest so lange, wie Gegenmaßnahmen aus Moskau ausbleiben.

Brüssel - Die EU-Botschafter der 28 Mitgliedstaaten müssen ihre Handys abgeben, wenn sie an diesem Dienstagmorgen um 8.30 Uhr den Sitzungssaal im Brüsseler Ministerratsgebäude betreten. Das soll verhindern, dass Amerikaner oder Russen mithören können, wie genau die internen Konfliktlinien verlaufen, da die Europäische Union im Zuge der Ukraine-Krise erstmals umfassende Wirtschaftssanktionen gegen Moskau verhängen will.

 

Großer Streit freilich wird nicht mehr erwartet. Schließlich hat die EU-Kommission in ihrem Vorschlagspapier, das den Länderdelegationen am Wochenende übermittelt wurde und der Stuttgarter Zeitung vorliegt, den Bedenken der Hauptstädte bereits Rechnung getragen. „Aufgrund der gründlichen Vorarbeit und Vorberatung in Rat und Kommission“, so EU-Kommissar Günther Oettinger zur StZ, „ist meine Erwartung, dass die Vorschläge für Sanktionen gegen Russland jetzt so beschlossen werden.“

Negative Folgen für Europa sollen vermieden werden

Grundsätzlich wird versucht, die russische Wirtschaft möglichst hart zu treffen und die negativen Folgen für die eigenen Unternehmen zu begrenzen. Bestes Beispiel dafür sind die Finanzsanktionen. Sie zielen vorrangig auf Staatsbetriebe, die sich zwischen 2004 und 2012 satte 16,4 Milliarden Euro auf dem europäischen Kapitalmarkt besorgt haben und nun davon abgeschnitten werden sollen. Allen EU-Bürgern wäre es dann schon bald verboten, in Anleihen oder Schuldscheine dieser Firmen mit einer Laufzeit von mehr als 90 Tagen zu investieren. Das Verbot gilt für den sogenannten Primärmarkt, also den Handel mit neu ausgegebenen Bonds, wie den Sekundärmarkt, auf dem bestehende Anleihen gehandelt werden. Auch Dienstleistungen zum Einfädeln solcher Deals werden untersagt. Dies werde zu höheren Zinsen führen und „ein Klima der Marktunsicherheit befördern“, das „wahrscheinlich den Abzug von Kapital beschleunigen dürfte“, schreibt die Kommission in dem Papier.

Damit dies nicht auch auf die EU zutrifft, werden Vorkehrungen getroffen. So bleiben zumindest „in der Anfangsphase“ Staatsanleihen von den Sanktionen ausgenommen, „da Russland ein signifikanter Investor in Anleihen mehrerer EU-Staaten ist“, heißt es. Gleichwohl werden der Brüsseler Behörde zufolge bestimmte Finanzplätze, die besonders viele Geschäfte mit Russland machen, schon jetzt darunter leiden – Großbritannien, Luxemburg, Malta und Zypern etwa. So wird erst als weiterer Schritt erwogen, die Finanzsanktionen auch auf Privatunternehmen auszudehnen, die in den von Sanktionen betroffenen Branchen operieren.

Frankreich darf Hubschrauberträger liefern

Dies wird unter anderem der Rüstungssektor sein – vergangenes Jahr lieferte die EU Waffen im Wert von 300 Millionen Euro. Frankreichs umstrittene Lieferung zweier Hubschrauberträger wäre von dem Embargo nicht erfasst, da es auf Pariser Wunsch nur für Neuverträge von einem bestimmten Datum an gelten soll.

Ökonomisch betrachtet sind die Sanktionen im sogenannten Dual-Use-Sektor noch viel gravierender. Der EU-Kommission zufolge exportiert die Gemeinschaft jedes Jahr Güter in einem Gesamtwert von rund 20 Milliarden Euro nach Russland, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Umgekehrt importiert sie Waren dieser Art in einem Volumen von rund drei Milliarden Euro. Nun sollen nationale Behörden solche Geschäfte untersagen, „wenn es Gründe gibt anzunehmen, dass sie militärischen Zwecken dienen“. Brüssel schlägt als nächsten Schritt bereits vor, auch für zivile Projekte bestimmte Exporte zu verbieten.

Ganz vorsichtig agiert die EU im Energiesektor. So werden der russischen Wirtschaft nun „sensible Technologien“ etwa für Tiefseebohrungen, die Schiefergasgewinnung oder Erkundungen in der Arktis vorenthalten. Die nationalen Behörden müssen auch hier den Verwendungszweck überprüfen. Ausdrücklich ausgenommen ist Hightech für die konventionelle Gasförderung in Russland – von der die EU selbst hochgradig abhängig ist.

Die UN erheben schwere Vorwürfe gegen beide Seiten

Separatisten Die UN erheben schwere Vorwürfe gegen die prorussischen Separatisten in der Ostukraine. Um ihre Macht zu sichern, würden die straff organisierten und militärisch stark ausgerüsteten Rebellen Menschen entführen, foltern und töten, heißt es in einem Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte. Weiter wird in dem Dokument festgestellt, dass bewaffnete Gruppen öffentliche Einrichtungen angegriffen, Banken ausgeraubt und Eisenbahngleise gesprengt hätten. Seit Mitte April wurden laut UN in dem Konflikt mindestens 1129 Menschen getötet und mehr als 3400 verletzt.

Armee Auch das Vorgehen der Armee müsse unter Umständen als Verletzung des humanitären Völkerrechts eingestuft und verfolgt werden. Bei Kämpfen in Donezk und Lugansk seien schwere Waffen in bewohnten Gegenden eingesetzt worden, darunter Artillerie, Panzer und Raketen.