Ryley Walker hat mit seiner Band in der Schorndorfer Manufaktur psychedelischen Folk gespielt. Was für ein Abend!

Stuttgart - War es Mundpropaganda? War es das Ende der Ferienzeit? Erstaunlich gut gefüllt war der Saal der Manufaktur am Mittwochabend beim Auftritt von Ryley Walker und seiner Band aus Chicago. Obwohl Walker, Jahrgang 1989, schon etwas länger dabei ist, wurde er erst im Frühjahr einer größeren Öffentlichkeit bekannt, als er für sein zweites Album „Primrose Green“ äußerst positive Kritiken bekam. Vielleicht auch, weil sowohl seine Musik als auch die Doppelbelichtung des Albumcovers ein Zeitfenster ins Jahr 1970 öffnete, dass Nostalgiker jauchzen und Nachgeborene staunen machte.

 

Walkers Debütalbum „All Kinds of You“ von 2014 hatte bereits von der Liebe zum Fingerpicking John Faheys und zum britischen Folk der späten sechziger Jahre erzählt, ging jedoch im allgemeinen Folk-Hype unter. Für „Primrose Green“ erinnerte sich Walker nun an den mit kammermusikalischem Jazz angereicherten Psychedelic-Folk von Van Morrison („Astral Weeks“), Pearls Before Swine („One Nation Underground“) und Tim Buckley („Dream Letter“) und suchte die Nähe zur undogmatischen Jazzszene Chicagos. „Primrose Green“ glänzte denn auch mit Auftritten von Szene-Schwergewichten wie dem Cellisten Fred Lonberg-Holm oder dem Vibrafonisten Jason Adasiewics.

Wer vom Konzert wenig mehr als eine wohlige Zeitreise erwartet hatte, wurde allerdings angenehm überrascht, denn Walker und seine vierköpfige Band lieferten über den Abend verteilt zwar fast die ganze Bandbreite transatlantischer (post-)psychedelischer Spielweisen um 1970 ab, ohne dabei auch nur einen Moment nostalgisch zu wirken. Zumeist eingeleitet von Fingerpickings entwickelten sich Songs zu ausgedehnten, von Walker angefeuerten Improvisationen, bei denen der Kontrabassist Anton Hatwich und insbesondere der Keyboarder Ben Boye Akzente setzten, während Walker an der sechs- und zwölfsaitigen Halbakustischen brillierte.

Ein toller Abend

Das Konzert erinnerte an ein verschollenes, längst vergessenes, aber unter Kennern legendäres Solo-Album, das ein Mitglied von Jefferson Airplane, Quicksilver Messenger Service oder Moby Grape 1970 mit Studiomusikern eingespielt haben könnte. Seinerzeit übersehen, aber zumindest retrospektiv ein visionäres Meisterwerk. So erinnerte die Band an Tim Buckley, an The Grateful Dead, an Pentangle – und wenn es richtig groovte, dann zeichnete sich am Horizont bereits der Westcoastsound der Doobie Brothers ab. Es war sogar noch Raum für ein paar Glanzstücke des Solisten Walker und eine freie Kollektiv-Improvisation. Alles dargeboten von einem jungen Musiker, der sich ganz diesseitig auf ein Bier mit den Publikum nach der Show freute und von der Begeisterung aus dem Zuschauerraum selbst überrascht, ja euphorisiert schien. Toller Abend!


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