Wenn aber der Traum derart von der Wirklichkeit eingeholt wird, dann hat der Traum notwendigerweise einen Vorsprung gegenüber dieser Wirklichkeit gehabt. Anders gesagt: dann war der Traum also von Anbeginn an wahrer als die Wirklichkeit, in der er geträumt wurde. Das zumindest glaubt nun Kleist, der im „Prinzen von Homburg“ das extrem Äußere, den Krieg, mit dem extrem Inneren, der im Herzen gefühlten, im Traum sich vorab erfüllenden Liebe aufs Kühnste miteinander verschränkt. Ein harter Brocken für jeden Regisseur – und Breth, so scheint’s, widmet sich in ihrer vom Nachtseitigen unterwanderten Inszenierung mit Hingabe den unauslotbaren Abgründen des Innern.

 

In der Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater verfügt die Regisseurin über ein Starensemble. August Diehl spielt den Homburg – und er spielt ihn so präzise, dass er imstande ist, die enorme Bedeutungslast dieser Aufführung halbwegs zu tragen. Im Schlossgarten, der ein Schlachtfeld ist, sitzt er mit offenem Hemd, barfuß und wie in Trance unter einem verkohlten Baumstumpf. Und so, wie er aus seinen Träumen nur mühsam in die Wirklichkeit zurückfindet, verhält es sich auch, als ihm später vom Kurfürsten und seinen Generälen der Schlachtplan erläutert wird. Mit offenem Mund und stierem Blick sieht er nur seine Natalie – unheimliche Absencen, die an Unheimlichkeit und Dämonie noch gewinnen, wenn er unmittelbar vor der Schlacht einem seiner Getreuen an die Gurgel geht. Der Getreue will den Prinzen davon abhalten, den kurfürstlichen Befehl zum Losschlagen zu missachten – da schlägt Diehl/Homburg los, haut seine Zähne in Hals und Gesicht des vermeintlichen Feiglings, ein ekstatischer Ausbruch der Gewalt, der nicht zuletzt beglaubigt, was als These im Programmheft zu lesen ist: Kleists Figuren stürzen in der Radikalität ihrer Innenschau aus sich heraus, sie geraten – im Wortsinne – außer sich und sind schließlich zu allem fähig.

Im Schloss regiert scheinbar die Vernunft des Tages

Das ist bei Kohlhaas so, das ist bei Penthesilea so. Und das ist jetzt auch beim Homburg so, Kleists Alter Ego, das Andrea Breth am Ende ins Nichts stürzen lässt. August Diehl bei seinen irritierenden Absencen und Ekstasen zu verfolgen ist aufregend. Weniger aufregend ist dann aber doch, wie die Regisseurin die anderen Schauspieler durch das Albtraumspiel führt, das neben dem schwarzen Schlachtfeld noch weitere Schauplätze kennt: die mit Neonlicht grellweiß erhellten Schlosszimmer, in denen scheinbar die Vernunft des Tages regiert. Dort waltet der Kurfürst des Peter Simonischek und die Kurfürstin der Andrea Clausen. Clausen wirkt immerhin so furchtsam zögernd, so geheimnisvoll lauernd, als habe auch sie schon mit Schaudern in die Tiefe der Menschenseele geblickt. Simonischek und seine Militärs aber sind in ihren Uniformen wenig mehr als schwarze Todeskrähen. Für ihre Figuren interessiert sich die Regisseurin leider nicht allzu sehr. Und das macht ihre Todesfuge auf Dauer doch auch sehr ermüdend.