Es geht um einen gezückten Mittelfinger. Der ZDF-Moderator Jan Böhmermann hat mit der satirischen Aussage, er habe das umstrittene Video mit dem griechischen Finanzminister Gianis Varoufakis gefälscht, einen Sturm in den sozialen Medien ausgelöst.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Die Fälschung ist „zu 100 Prozent echt“! Das behauptet zumindest Jan Böhmermann – oder ist seine krude Videobotschaft im Internet auch schon wieder Satire? Aber interessiert sich überhaupt noch jemand für die Wahrheit? Geht es längst nicht um mehr, als nur um einen griechischen Stinkefinger? Tatsache ist: die Internetgemeinde befindet sich in einer Art virtuellem Ausnahmezustand. Der Grund: #varoufake!

 

Die Causa ist im Grunde schnell erzählt – zumindest der erste Teil der Geschichte. Teil zwei ist komplexer und so schwer zu enträtseln wie die Odyssee. Fest steht: Der ARD-Talker Günther Jauch hatte am Sonntagabend ein Video von einem Auftritt des griechischen Finanzministers Gianis Varoufakis aus dem Jahr 2013 ausgestrahlt. Es soll zeigen, wie der Politiker Deutschland symbolisch den ausgestreckten Mittelfinger zeigt. Varoufakis hatte das Video bei Jauch als gefälscht bezeichnet. Die Empörung in Deutschland war riesig. Wie kann dieser Grieche sich erdreisten, Offensichtliches abzustreiten und Deutschlands angeblich wichtigsten Talker als Lügner hinzustellen?

Wehe, wenn Böhmermann kommt

Doch dann drängt sich der TV-Satiriker Jan Böhmermann ins Geschehen. Der behauptet in seiner ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“, dass er das Video gefälscht, also den Stinkefinger nachträglich ins Bild montiert habe. Varoufakis bedankt sich postwendend über den Nachrichtendienst Twitter bei Böhmermann und verlangt von Jauch eine Entschuldigung. Man fragt sich allerdings wieso? Denn Varoufakis bezichtigte Jauch zwar der Unwahrheit, twitterte nach der Sendung selbst aber ein Video mit der Stinkefinger-Sequenz. Das wohl als Beweis, dass dieser Abschnitt aus dem Zusammenhang gerissen worden sei.

Zwei Erklärungen sind möglich: Varoufakis scheint sich durchaus an die obszöne Geste zu erinnern. Oder er hat sie schlicht vergessen und ist selbst der Macht der Bilder erlegen. Im zweiten Fall wäre er auch ein Opfer Böhmermann’scher Satire. Denn der behauptet nun, die Fälschung sei gefälscht, es habe den Stinkefinger also gegeben. Alles scheint inzwischen möglich, und damit ist der Nährboden für den Hype gelegt. Im Internet ist der Hashtag #varoufake ein Hit, und Böhmermann beobachtet die Aufregung feixend vom Satire-Olymp herab, in den er mit dieser Nummer aufgestiegen ist. Sein Verdienst ist es, der Empörungsrepublik Deutschland den Spiegel vorgehalten zu haben. Gestritten wird mit altbekannten Stereotypen von rechtschaffen wirtschaftende Deutschen und faulenzenden Griechen.

Das Potenziel von Varoufakis genutzt

Eiskalt hat Böhmermann das Potenzial zu seinem Zweck genutzt, das in den Auftritten des Athener Finanzministers liegt: das provozierend selbstsichere Auftreten, die polarisierenden Aussagen, das kantige Äußere und vor allem der deutsche Ärger über die griechische Tragödie, der sich über die Jahre bei vielen aufgestaut hat.

Das alles ist eine hochexplosive Mischung, die Böhmermann in Brand gesetzt hat. Als virtueller Brandbeschleuniger diente ihm das Empörungspotenzial des Internets. Auch hier hatte er richtig kalkuliert: Die meisten Leute wollen nicht über die komplexe Thematik der Griechenlandkrise diskutieren, sie wollen ihrer Wut freien Lauf lassen. Böhmermann hatte allerdings auch das Glück des Fleißigen. Jauch übernahm die Stinkefinger-Sequenz aus einem bizarren Musikvideo, das der Satiriker vor wenigen Wochen über Varoufakis gedreht hatte. Ein Fiasko für den so seriös auftretenden ARD-Mann, der sich nun einige Fragen gefallen lassen muss: Weshalb wurde die Echtheit des Videos nicht letztendlich geprüft? Weshalb wurde die Sequenz aus dem Kontext gerissen? Offensichtlich wird, dass Jauch mit dem kurzen Stinkefinger-Ausschnitt vor allem auf den schnellen Effekt zielte und Varoufakis als Lügner darstellen wollte. Diese Episode erschüttert nicht nur die Glaubwürdigkeit von Jauch. Man fragt sich, wie leicht Bilder zu manipulieren sind.

„Neo Magazine Royale“ ist Satire

Jauchs Produktionsfirma fordert inzwischen allen Ernstes Beweise von Böhmermann, dass er das Stinkefinger-Video tatsächlich gefälscht hat. Das findet sogar das nicht gerade als Spaßsender bekannte ZDF lustig. Der Programmdirektor Norbert Himmler gab bekannt, dass man in Zukunft das „Neo Magazin Royale“ als Satiresendung kennzeichnen werde.