Seit dem Untergang der Titanic vor 100 Jahren haben sich Passagierschiffe deutlich gewandelt. Manchmal wird sogar zu viel technisch überwacht.

Stuttgart - „Völlig sicher geht nicht“, erklärt Stefan Krüger, der an der Technischen Universität Hamburg-Harburg das Institut für Entwerfen von Schiffen und Schiffssicherheit leitet. „Man muss nur ausreichend große Löcher in den Rumpf machen, dann geht jedes Schiff unter“, sagt der Ingenieur. Das Können seiner Branche liegt nicht in der Konstruktion eines unsinkbaren Schiffes, sondern darin, die Risiken möglichst weit zu verringern. Und da haben die Ingenieure auf Passagierschiffen viel erreicht.

 

Kreuzfahrtschiffe gehören zu den sichersten Vehikeln auf hoher See“, sagt Krüger. So starben zwar beim größten Kreuzfahrtunglück der vergangenen Jahre 32 Passagiere der Costa Concordia unmittelbar vor der italienischen Küste, bei mehr als 19 Millionen Menschen, die 2011 ihren Urlaub auf einer solchen schwimmenden Luxusherberge verbrachten, ist das Risiko für den Einzelnen aber gering. Auch Hochseefähren, die zum Beispiel das europäische Festland mit den britischen Inseln oder der skandinavischen Halbinsel verbinden, kommen im Vergleich mit anderen Verkehrsmitteln gut weg. Laut Statistik verlieren auf einer Strecke von einer Milliarde Kilometern in Europa 0,2 Passagiere in der Eisenbahn ihr Leben. Im Flugzeug sind es 0,4 Tote und auf Schiffen in europäischen Gewässern 0,5. Im Auto sterben auf der gleichen Distanz in Europa sechs Menschen und auf dem Fahrrad sogar 30.

Die Schotten verhinderten nicht den Untergang der Titanic

Eine der bekanntesten Techniken, um das Risiko auf Schiffen zu senken, ist das Schott. So heißen die Wände, die den Schiffsrumpf in verschiedene Abteilungen trennen. Reißt eine Kollision ein Leck in eine dieser Kammern, läuft sie zwar mit Wasser voll, das allerdings durch die Schotten nicht in die nächste Abteilung eindringen kann. Chinesen bauten bereits im 15. Jahrhundert Schotten in ihre Schiffe, im 19. Jahrhundert wurde diese Technik auch in der westlichen Welt üblich. Auch die Titanic war in 16 Kammern aufgeteilt. Würden zwei nebeneinander liegende Kammern geflutet, sollte das Schiff weiter schwimmen, hatten die Ingenieure ausgerechnet. Die Katastrophe passierte trotzdem, weil der Eisberg gleich sechs Lecks unter der Wasserlinie riss, durch die alle sechs vorderen Abteilungen des Schiffes geflutet wurden.

Schlechte Chancen hätte bei einer vergleichbaren Kollision auch ein modernes Schiff, das von etlichen Schotten in 17 bis 20 Kammern unterteilt wird. Obendrein würden viele Trennwände in der Praxis versagen, befürchtet Stefan Krüger: „Im Schiffsalltag stehen die wasserdichten Türen in diesen Wänden häufig offen, um aus Bequemlichkeit die Wege unter Deck zu verkürzen. Fällt bei einer Katastrophe mit den Schiffsmaschinen auch die Stromversorgung aus, können die elektrisch betriebenen Türen nicht mehr schließen.“

Selbst der Kapitän wird heute überwacht

Im Jahr 100 nach der Titanic-Katastrophe haben zahlreiche Geräte auf der Brücke offenbar alles im Griff. Sie überwachen sogar, ob der diensthabende Offizier alles aufmerksam verfolgt. Für Stefan Krüger ist die technische Überwachung des Guten oft schon zu viel. Hat zum Beispiel allein die Maschinenanlage 6000 Sensorpunkte, gibt es natürlich ab und zu ein Problem an irgendeinen dieser Punkte, wenn etwa eine Pumpe bei leicht erhöhter Temperatur läuft. „Wenn aber alle paar Minuten wegen einer Kleinigkeit ein Alarm auf der Brücke fiept, stumpfen die Wachhabenden rasch ab“, erklärt Krüger. Reizüberflutung nennen Psychologen das. Bei einem schwerwiegenden Problem reagiert der Offizier dann vielleicht zu langsam.

„Ein großes Problem auf Schiffen sind Brände, die vor allem im Maschinenraum und im Galley genannten Küchenbereich auftreten“, berichtet Krüger weiter. Zwar müssen Passagierschiffe seit der Titanic-Katastrophe ausreichend Rettungsboote an Bord haben, eine Evakuierung auf hoher See aber bleibt auch nach einem Feuer oder einem Wassereinbruch in den Maschinenraum nur die allerletzte Möglichkeit. Das beste Rettungsboot ist das Schiff selbst. Neue Kreuzfahrtschiffe müssen daher so gebaut werden, dass sie mit einer zweiten Maschinenanlage in den nächsten Hafen tuckern können. Für die kürzlich nahe der Seychellen havarierte Costa Allegra galt diese Bedingung noch nicht. Sie hätte bis 2019 umgerüstet werden müssen.