In Kapstadt erforschen Archäologen das Wrack eines 1794 untergegangenen Sklavenschiffes. Mehr als 200 Menschen kamen dabei um. Sie waren als menschliche Fracht für Brasilien im Schiffsbauch – aneinandergekettet.

Stuttgart - Er gilt als einer der schönsten Strände der Welt. Am „Third Beach“ des Kapstädter Nobelviertels Clifton vergnügen sich täglich gebräunte Urlauber, Models im Bikini und muskelbepackte Bodybuilder und schauen am Nachmittag der untergehenden Sonne entgegen auf den Atlantik hinaus – nicht ahnend, welche Tragödie sich in nur hundert Meter Entfernung einst abgespielt hat. Am Nachmittag eines stürmischen 27. Dezembers im Jahr 1794 ertranken hier mehr als 200 im Rumpf des portugiesischen Seelenverkäufers São José mit Eisenketten gefesselte Sklaven aus Mosambik. Für die Kapstädter war der Tod der kostenlosen Arbeitskräfte offenbar dermaßen nebensächlich, dass sie deren feuchtes Grab bald wieder vergaßen.

 

Kaum jemand wusste von dem Wrack

  Anfang dieser Woche wurde das grausige Schicksal wieder ins Bewusstsein der Welt gerufen. Nur wenige Fachleute wussten seit vier Jahren, dass es sich bei dem Wrack um das weltweit erste wieder aufgefundene Sklavenschiff handelt, das mit einem Teil seiner menschlichen Fracht untergegangen war. Ein Wissen, das den Tauchern des US-südafrikanischen „Sklaven-Wrack-Projektes“ in den Knochen steckt: „Ich werde immer wieder von heftigen Gefühlen überwältigt“, sagte der US-Taucher Kamau Sadiki über seinen Job.  

Dass sich zwischen den Riffen vor dem Prominentenstrand ein gesunkenes Schiff befand, war seit den 80er Jahren bekannt. Schatzsucher hatten das Wrack fälschlich als das niederländische Frachtschiff Schuylenburg identifiziert, das 1756 gesunken war. Daran äußerten Experten bald Zweifel, da in dem Schiff Abdeckungen und Verbindungen aus Kupfer gefunden wurden, die um diese Zeit noch unüblich waren. Dann fand Jaco Boshoff, Meeresarchäologe und Kurator des Kapstädter Iziko Museums, in einem Archiv die Schilderung des Portugiesen Manuel João, Kapitän der São José, über das verhängnisvolle Schicksal seines Schiffes. Boshoff setzte die Puzzlestücke zu folgender Geschichte zusammen.

Die Menschen sollten als Sklaven nach in Brasilien

Am 3. Dezember 1794 legte die São José von Mosambik ab, mit mehr als 400 Sklaven an Bord. Das Schiff steuerte das 7000 Seemeilen entfernte brasilianische Maranhão an, wo die Mosambikaner als Arbeiter auf den Zuckerrohrplantagen verkauft werden sollten. Es war eine der ersten Sklaven-Transporte von dem südostafrikanischen Staat nach Südamerika: In den folgenden 70 Jahren sollten insgesamt 400 000 Mosambikaner über den Atlantik verschleppt werden. Während der dreimonatigen Überfahrt wurden die Sklaven in Ketten gelegt und aneinandergepresst im Schiffsbauch gehalten. Weit über zehn Prozent von ihnen überlebten nicht.

  24 Tage nach Beginn der Reise geriet die São José bei der Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung in einen Sturm. Um ihm auszuweichen, hielt sich der Kapitän zu nahe an der Küste und kollidierte mit einem Riff. Die São José schlug Leck. Der Besatzung gelang es, mindestens 200 Sklaven an Seilen und in Körben an Land zu schaffen. Doch um fünf Uhr abends brach das Schiff vollends auseinander, und die Besatzung machte sich im Rettungsboot davon. Mehr als 200 noch im Schiffsbauch angekettete Menschen ertranken. Die Geretteten wurden zwei Tage später auf dem Sklavenmarkt von Kapstadt verkauft.  

Unmengen Eisenbarren waren als Ballast mit an Bord

Die Bergung der Schiffsteile stellt sich als äußerst schwierig heraus. Das Wrack ist fast vollständig vom Sand zugeschüttet, das Meerwasser wegen der nahegelegenen Küste aufgewühlt „wie in einer Waschmaschine“, wie Boshoff klagt. Manche Kostbarkeit haben sich auch schon die Schatzsucher abgegriffen. Was den Archäologen blieb, waren Reste der eisernen Ketten, Kupferplatten und ein hölzerner Flaschenzug, vor allem aber Unmengen an Eisenbarren, die die São José eindeutig als Sklavenschiff ausweisen. Denn für Schiffe mit vergleichsweise  leichter menschlicher Fracht, die auch noch beweglich ist und durch Sterbefälle immer geringer wird, waren diese Gewichte zur Stabilisierung des Bootes notwendig.

„Es ist direkt vor uns hier im Paradies passiert.“  

Bisher fanden die Taucher keine menschlichen Überreste. Die Ausgrabungen werden jedoch noch Jahre weitergehen, teilt Boshoff mit.   Eigentlich hatten die Taucher vor, über dem Schiffswrack eine kleine Gedenkveranstaltung abzuhalten. Doch wegen des – wieder einmal – stürmischen Wetters wurde die Veranstaltung an den Strand verlegt. Der Richter und Befreiungskämpfer Albie Sachs, der bei einem Anschlag des Apartheidregimes ausgerechnet in Mosambik einst ein Auge und einen Arm verloren hatte, stellte für die Feier sein Strand gelegenes Haus zur Verfügung. „Wir müssen der Geschichte ins Gesicht sehen“, sagte Sachs: „Es ist direkt vor uns hier im Paradies passiert.“  

Unter den Gästen war auch Lonnie Bunch, der Gründer des Smithsonian Museums für Afrikanisch-Amerikanische Geschichte und Kultur in Washington. Er fahndet seit Jahren nach Ausstellungsstücken, die die Gräuel der Sklaventransporte illustrieren könnten. Die Fundstücke sollen in Washington ausgestellt werden.